Ein Zeitzeuge berichtet: Gerolsteins erste Fabrik

Gerolstein · 115 Jahre lang, von 1882 bis 1997, wurde in der Drahtwarenfabrik Christian Oos produziert, im kommenden Jahr soll sie abgerissen werden. Auch der heute 92-jährige Georg Imken arbeitete dort, mehr als 40 Jahre. Er erinnert sich.

 Georg Imken hat viele Jahre bei der Gerolsteiner Drahtfabrik gearbeitet.

Georg Imken hat viele Jahre bei der Gerolsteiner Drahtfabrik gearbeitet.

Foto: Brigitte Bettscheider

"Ja, ich war stolz, dass ich bei Oos arbeiten durfte", bringt Georg Imken (92) sein berufliches Leben auf den Punkt. 1938 war der damals 14-Jährige mit seinen Eltern von Bremen nach Gerolstein gekommen, als sein Vater Werkmeister beim Gerolsteiner Sprudel wurde.

Im gleichen Jahr begann der Junge seine Ausbildung zum Werkzeugmacher bei der Drahtwarenfabrik in der Lindenstraße - mit Direktorenvilla und einem stattlichen Gebäudekomplex auf mehr als 7000 Quadratmetern, durchquert von dem in Rohren gebändigten Peschenbach.

Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, mussten Georg Imken und seine Kollegen Drahteinsätze für Gasmasken fertigen. Und weil viele Männer als Soldaten eingezogen wurden, verpflichtete die Regierung für diese Arbeiten zwangsweise auch Mädchen und Frauen.

Im Winter 39 kam die Belegschaft in den Genuss von Printen, die während des Aufmarschs deutscher Soldaten neben Brot in einem Schuppen der Drahtwarenfabrik gebacken wurden. "An den Duft und den Geschmack kann ich mich heute noch gut erinnern", erzählt Georg Imken.

Aus betrieblichen Gründen setzte er seine Lehre bei der ebenfalls in Draht und Eisen tätigen "Gewerkschaft" in Jünkerath fort und machte dort 1942 die Gesellenprüfung. Er wurde Soldat, war Schnellbootfahrer bei der Kriegsmarine und kehrte 1946 wohlbehalten aus italienischer Kriegsgefangenschaft nach Gerolstein und zu Oos zurück. 1949 heiratete Imken; er ist Vater von zwei Kindern und hat zwei Enkel und zwei Urenkel. In der Burgstraße entstand der Familienwohnsitz.

Bei Oos lief es gut nach dem Krieg. Aus den vorgebogenen Einsätzen für die Gasmasken, die noch zu zig Tausenden auf dem Speicher lagen, fertigten die Mitarbeiter Topfuntersetzer.

"Ganz unerwartet ein Verkaufsschlager", erinnert sich Imken. Dazu Malersiebe, Schneebesen, Schaumlöffel, Kuchengitter, Reiben und wie die Küchengeräte alle heißen, die sonst noch in der Fabrik gefertigt wurden, auch Gießkannen und Maulkörbe.

Und Mausefallen - hauptsächlich in Heimarbeit, vor allem in Neroth, dem für die Fertigung und den Hausiererhandel landauf, landab bekannten Dorf.

Das zweite Standbein der Firma Oos wurden Maßanfertigungen von Produkten aus Draht für namhafte Möbelfirmen und Küchengerätehersteller.

"Es war ein guter Arbeitsplatz", resümiert Georg Imken, der Abteilungsleiter und schließlich Werkleiter in der Drahtwarenfabrik wurde. Zwar sei im Akkord gearbeitet, gleichzeitig aber auch gut bezahlt worden, betont er.

Eine besondere Herausforderung seien die Außenstellen gewesen, erklärt er und nennt die Justizvollzugsanstalt in Wittlich, die damalige "Nervenheilanstalt" in Andernach und die "Beschützende Werkstatt" der Lebenshilfe in der ehemaligen Volksschule in Kopp. 1984 ging Georg Imken in den Ruhestand. Was seither mit der Fabrik geschah und wie sich nun der Abriss (siehe Extra) gestaltet, interessiert ihn natürlich - "aber mit dem gebührenden Abstand", sagt er lachend.

Zur Geschichte

(bb) Die Drahtwarenfabrik wurde 1882 von Christian Oos gegründet und war- die erste Fabrik in Gerolstein. Die meisten Gebäude stammen aus den Jahren 1900 bis 1920. Georg Imken (siehe Haupttext) verbrachte mit wenigen Unterbrechungen sein gesamtes berufliches Leben in der Drahtwarenfabrik, von 1938 bis 1984. Während dieser Zeit erreichte das Unternehmen mit 150 Beschäftigten seinen Höchststand; hinzu kamen Dutzende von Heimarbeitern in Gerolstein und den umliegenden Dörfern. In den Wintermonaten 1944/45 waren Gebäude auf dem Fabrikgelände als Durchgangslager mit amerikanischen Soldaten belegt. Unter Eckart Koschel endete 1997 die aktive Zeit der Fabrik. Im März 2008 verlief ein Versteigerungstermin beim Amtsgericht Daun ergebnislos; es wurde kein Angebot abgegeben. An einem Wochenende im September 2008dddesselben Jahres zeigten die Bildhauer, Maler und Fotografen der Gruppe "Feldkunst" (Hillesheim) in einem von einem Motorradclub gemieteten Gebäude der Drahtwarenfabrik eine Ausstellung. Im Sommer 2009 kaufte die Stadt Gerolstein die Industriebrache für 45.000 Euro. Die Drahtwarenfabrik, die bis zuletzt unter dem Namen des Gründers Christian Oos firmierte, wurde 2011 aus dem Handelsregister gelöscht.

Der Abriss

 Eine Rechnung der Firma Christian Oos aus dem Jahr 1933.

Eine Rechnung der Firma Christian Oos aus dem Jahr 1933.

Foto: Brigitte Bettscheider
 Eine Rechnung der Firma Christian Oos aus dem Jahr 1930.

Eine Rechnung der Firma Christian Oos aus dem Jahr 1930.

Foto: Brigitte Bettscheider

(bb) Seit der Stadtratssitzung am 22. November 2016 ist der Abriss der Drahtwarenfabrik beschlossene Sache. Bereits 2014 waren die rund 30. 000 Altreifen vom Gelände entfernt worden - aus Umwelt- und Brandschutzgründen, wie Stadtbürgermeister Friedhelm Bongartz dem TV erklärt. Ebenso habe der Entschrotter, der das Gelände zuletzt genutzt habe, inzwischen sein Lager weitestgehend aufgelöst. Zu Spekulationen über Altlasten im Boden sagt Bongartz: "Meine Befürchtungen sind gering. Da kann nicht viel sein." Wann genau mit dem Abriss begonnen werde, hänge von der Gewährung von Zuschüssen ab. Die Anträge seien gestellt. Beim Abriss hätten die Gebäude Vorrang, unter denen der verrohrte Peschenbach fließe. Denn das Bachbett solle renaturiert und um einen parallel laufenden Fußweg ergänzt werden, der dann über die Sarresdorfer Straße in die Innenstadt führe. "Mein Traum ist ein Generationen übergreifendes Wohngebiet in diesem attraktiven Bereich zwischen Auberg und Lindenstraße", sagt der Stadtbürgermeister.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort