Krieg in der Ukraine Sie sind dem Bombenhagel entkommen

Daun · Die ukrainische Familie Kang ist aus Kiew geflohen und nach einem Irrweg sicher in Daun angekommen.

 Sind in Sicherheit bei der Verwandtschaft in Daun: Hyunchang (links), Liliia und Töchterchen Venera Kang aus der Ukraine.

Sind in Sicherheit bei der Verwandtschaft in Daun: Hyunchang (links), Liliia und Töchterchen Venera Kang aus der Ukraine.

Foto: Vasiliou Lydia

Hilfstransporte aus der EU sind unterwegs in die Ukraine, Millionen Menschen fliehen immer noch aus dem Land, in dem seit dem 24. Februar der Kriegszustand herrscht. Die Menschen, die noch geblieben sind, verbringen die Tage in Kellern, können nur schnell in ihre Wohnungen, wenn es gerade einmal keinen Bombenalarm gibt. Das weiß niemand besser als Liliia und Hyunchang Kang, die vor ein paar Tagen mit ihrer sechsjährigen Tochter Venera aus Kiew nach Deutschland gekommen sind, genauer gesagt, nach Daun-Pützborn. Dort lebt Liliias Schwester, die ihren Namen nicht nennen will, um keinen Hass oder Hetze zu erleben. Auch wenn sie selbst noch nie irgendwelche Anfeindungen einstecken musste, weiß sie aber, dass eine russischsprachige Bekannte kürzlich schon derartiges erfahren hat.

Die 36-Jährige lebt seit 18 Jahren in Daun, spricht daher perfekt Deutsch und übersetzt überwiegend das Gespräch, wenn nicht Hyunchang, der seit zwölf Jahren in der Ukraine lebt, auf Englisch antwortet. Die ukrainische Familie hat einen Irrweg und viele Strapazen hinter sich. Erst einmal ist sie froh, dass sie in Sicherheit ist. Aber die Sorge um die zurück gebliebenen Eltern und Freunde lassen die Freude im Keim ersticken. „Wir wollten gar nicht fliehen“, sagt Liliia, „aber meine Mutter hat uns aufgefordert zu gehen, nachdem am 24. Februar der Militärflughafen Hostomel in der Nähe des Wohnortes meiner Eltern bombardiert wurde“, sagt Liliia, „und als wir dann die russischen Flugzeuge gesehen haben, haben wir gepackt.“

Die Mutter sei noch nach Kiew gekommen, um sich zu verabschieden. Sie wollte noch die Wohnung aufräumen, während die Kangs mit ihrem Auto losfahren. Unterwegs erfahren sie, dass die Mutter nicht mehr in ihren 30 Kilometer entfernten Wohnort Butscha zurück kann. Sie muss die nächsten Tage im Keller des Hauses in Kiew verbringen. Vater und Mutter waren also getrennt und „sind seit gestern wieder zusammen, nachdem unser Vater es schließlich nach Kiew geschafft hat“, sagen die Töchter erleichtert. Glücklicherweise kommuniziert man ständig per Handy miteinander und erfährt so, was genau in der Ukraine vor sich geht.

Fotos und Videos zeigen Zerstörung Liliia zeigt die neuesten Fotos und Videos von zerstörten Gebäuden, von geschlossenen Supermärkten und Plünderungen. Die wichtigste Frage an die Zurückgebliebenen sei: „Lebt ihr noch?“

Von Kiew fährt die junge Familie in Richtung Polen. 20 Stunden braucht sie bis in die rund 550 Kilometer entfernte Stadt Lwiw (Lemberg). „Wir standen nur im Stau“. Zumindest können sie auf der Strecke dem immer wieder hinter ihnen auftauchenden Bombenhagel entkommen. In ständiger Angst beschließen sie, den Zug nach Polen zu nehmen und hoffen, wenigstens zur Grenze zu kommen. „Wir haben sechs Stunden gewartet, es war eine Unmenge an Menschen dort und es herrschte Panik“, sagt Liliia. Sie schaffen den Zug nicht, steigen mit Kind und ihrem Hab und Gut, verstaut in zwei Koffern, wieder ins Auto, fahren nach Shidnitca und übernachten in einem Hotel. Nun fügt sich der glückliche Umstand, dass Hyunchang aus Südkorea stammt und einen südkoreanischen Pass hat. Er wendet sich an die südkoreanische Botschaft in Polen und in Ungarn. Dann die gute Nachricht: Die Botschaft in Ungarn lässt sie abholen und bringt das junge Paar und die Tochter nach Budapest in eine Ferienwohnung. Erste Erleichterung und das Gefühl von Sicherheit.

„Dort mussten wir auf unseren PCR-Test warten und konnten nach vier Tagen mit dem Zug nach München fahren“, erzählt das Paar. Ihr Schwager holt sie ab und bringt sie in seine Wohnung nach Daun. Die Familie hat selbst zwei Kinder, überlässt aber eins der Kinderzimmer den ermüdeten Verwandten. „Wir sind gerne zusammengerückt“, sagt Liliias Schwester. Inzwischen hat aber eine Freundin aus Daun über Facebook einen Aufruf gestartet, so dass die Familie vorerst kostenlos in einer Ferienwohnung bleiben kann. „Acht Tage konnten wir nicht schlafen, erst in dieser Wohnung haben wir zum ersten Mal durchgeschlafen“, bestätigen die Kangs, „wir sind allen unendlich dankbar“.

„Wir haben unser Leben dort gelassen“ Hyunchang hat auf die Frage, wie er sich jetzt fühlt, nur die eine Antwort: „Alle fragen das“, auch in Interviews mit südkoreanischen Medien habe man ihm die gleiche Frage gestellt. „Wir sind glücklich, dass die Leute hier so hilfsbereit sind, aber planen könne man nichts, „wir haben unser ganzes Leben dort gelassen“. Unter russischer Führung werde die Familie nicht mehr in die Ukraine zurück gehen, deshalb hofft der 40-Jährige auf Arbeit in Deutschland. In der Ukraine war er Direktor für Investitionen bei einer Gasfirma, seine Ehefrau ist Kosmetikerin. Aber die Hoffnung wieder in die Heimat zurückzukehren, geben sie nicht auf. Denn man wisse, dass die Menschen in Russland den Krieg nicht wollen. Er habe Freunde in Moskau, die aktiv gegen den Krieg protestieren. Putin sei nur zu stürzen, wenn es innerhalb der russischen Bevölkerung Widerstand gebe, ist seine Meinung. Außerdem ist er sicher, dass 91 Prozent der ukrainischen Bevölkerung hinter Präsident Selenskyj stünden.

Die Hoffnung ist auch bei seiner Frau sehr groß: „Wir sind in einem freien Land geboren und nicht unter russischer Herrschaft“, sagt die 37-Jährige. Und wie geht es der kleinen Venera? Sie habe die Hektik zwar mitbekommen, sagen die Eltern, frage manchmal, wann sie wieder nach Hause können, aber sie wisse nicht genau was passiert ist. „Wir können nicht mehr weinen, weil wir klar denken müssen, denn es muss ja weiter gehen“, ist sich die Familie einig.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort