"Erst nach Erreichen der Grenze atmeten wir wieder besser, freier"

Am 21. November 1989 erschien unter der Überschrift "TV-Aktion: Hilfe für DDR-Flüchtlinge" eine Meldung im Trierischen Volksfreund. Unter anderem bekamen Familien aus Thalfang, Neroth und Hillesheim ein Startgeld für den Neuanfang. Unter diesen Familien war auch die Familie Weicht, die auf abenteuerliche Weise über die Prager Botschaft aus der DDR flüchtete und nach Hillesheim kam.

 Helga und Karl-Heinz Weicht sind dankbar für die Hilfe, die sie nach der Flucht aus der DDR in der Eifel bekamen. TV-Foto: Felicitas Schulz

Helga und Karl-Heinz Weicht sind dankbar für die Hilfe, die sie nach der Flucht aus der DDR in der Eifel bekamen. TV-Foto: Felicitas Schulz

Hillesheim. (fs) Ein Zettel an einer Pinnwand war ihr Schicksal: Als Karl-Heinz Weicht Anfang Oktober 1989 mit seiner Familie nach seiner Flucht aus der DDR in Ahrweiler ankam und das Stück Papier entdeckte, war sein Weg in die Eifel vorgezeichnet.

"Nehmen Familie mit Kind auf", stand auf dem Zettel. Weicht rief sofort die angegebene Telefonnummer an und sagte zu. Am nächsten Tag kam ein Auto und brachte Helga und Karl-Heinz Weicht sowie deren Sohn Enrico nach Hillesheim zu der hilfsbereiten Familie, die sie freudig begrüßte. Nicht nur sie, auch andere boten ihre Hilfe mit Wohnung, Kleidung, Möbeln und Lebensmitteln an.

Dass sie jemals in der Eifel landen würden, damit hätten die Weichts am 3. Oktober 1989 noch nicht gerechnet. "Wir warteten am 3. Oktober 1989 nur noch auf unseren Sohn Enrico, der aus der Schule kam. Dann ging es unverdächtig ohne Gepäck schnell ins Auto, und nach 30 Minuten hatten wir die Grenzstation Schmilka in der Sächsischen Schweiz erreicht. Mit mulmigem Gefühl, ohne zu wissen, was uns erwartet", erzählen Helga Weicht, heute 55 Jahre alt, und Karl-Heinz Weicht (58 Jahre) die Hintergründe ihrer Flucht aus der DDR.

Statt zu einer Geburtstagsfeier bei Freunden, wie sie den Grenzsoldaten erzählten, fuhren sie in die Prager Botschaft. Im Jahre 1988 hatte das Ehepaar einen Ausreiseantrag gestellt, der Monate später abgelehnt wurde. Als sich im Sommer 1989 politische Veränderungen anbahnten und im Fernsehen der BRD die ersten Mutigen nach Ungarn und in die Tschechoslowakei flüchteten, wussten sie, dass jetzt der Zeitpunkt zum Handeln kommt. Besonders, als am 30. September im ZDF Hans Dietrich Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft zu sehen war und die markanten Worte sprach: "Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um mitzuteilen, dass Ihre Ausreise möglich ist." Am 4. Oktober bestiegen sie einen der Züge, der sie im verschlossenen Waggon von Prag aus durch die DDR in die Freiheit bringen würde. "Es war ein beklemmendes Gefühl, als wir durch unsere Heimat fuhren und die Menschen auf den Brücken standen, winkten und Bravo riefen. Stille kam auf mit dem Erscheinen von Stasibeamten in Zivil, die zwischen Dresden und Chemnitz unsere DDR-Pässe einsammelten, und wir, so schien es, uns, in einem luftleeren Raum befanden. Erst nach Erreichen der Grenze zur BRD atmeten wir wieder besser, freier."

Nun leben die Weichts schon seit 20 Jahren in der Eifel. "Wir sind heute noch überaus dankbar, dass uns damals von vielen Seiten so umfassend geholfen wurde", erzählt das Ehepaar. Verstehen sie auch nicht so gut wie ihr Sohn (32) das Eifeler Platt, ist ihnen bewusst, dass sie schnell ein neues Zuhause in der Eifel gefunden hatten.

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