Flucht „Sie nannten mich Hexe”

Daun/Frankfurt · Arian Anwari, die in Kelberg aufgewachsen ist, hat auf Einladung des Café Asyl in Daun aus ihrem Buch „Attan – Die Drehung des Lebens“ gelesen. Ein Flüchtlingsdrama, das berührt und Mut macht.

 Arian Anwari tanzt einen Tanz aus ihrer Heimat in afghanischer Tracht.

Arian Anwari tanzt einen Tanz aus ihrer Heimat in afghanischer Tracht.

Foto: TV/Lydia Vasiliou

„Ich finde das Thema so wichtig, gerade für unsere Leute hier. Es ist wichtig, zu sehen, dass man eine Chance hat“, sagt die Leiterin des Café Asyl in Daun, Rita Schmaus. Sie meint die Lesung mit Arian Anwari. Die 25-Jährige, die in Kelberg aufgewachsen ist und heute in Frankfurt lebt, hat das Buch „Attan – Die Drehung des Lebens“ in Kooperation mit Christine Fischer aus Dresden geschrieben.

Der Saal im evangelischen Gemeindehaus in Daun füllt sich. Es müssen sogar noch mehr Stühle angeschleppt werden, damit die rund 100 Gäste Platz finden. Und die kommen aus der ganzen Umgebung, um sich die Geschichte einer jungen Frau anzuhören, die von einer dramatischen Flucht berichten wird. Schmaus berichtet, dass sie durch die Medien auf Arian Anwari aufmerksam geworden sei, ihr Buch bestellt und sie sofort eingeladen habe, in Daun zu lesen.

Arian Anwari ist aus Frankfurt angereist und wird von einigen Besuchern herzlich umarmt. Dass man sie hier kennt, ist keine Frage. „Ich freue mich tierisch, nach neun Jahren wieder in meiner alten Heimat zu sein“, sagt sie lächelnd. Bis sie allerdings hier ankam, hatten die Eltern mit drei Kindern eine vierjährige Odyssee über Pakistan, Usbekistan und Russland zu überstehen. Die Familie floh 1992 aus Afghanistan, um dem Bürgerkrieg zu entgehen, und kam 1996 in Deutschland im Aufnahmelager in Trier an. Von dort wurden sie nach Kelberg geschickt.

Zwar hat Arian Anwari damals wohl nur wenig von den Strapazen und Ängsten unterwegs mitbekommen, da sie erst drei Monate alt war. Doch dem heute 30-jährigen Bruder Massud, der mit Frau und Kind in Ulmen lebt, versagt die Stimme, als er selbst ein Kapitel des Buches zu erzählen versucht.

Erinnern kann sich die bildhübsche junge Frau aber genau an ihre Kindergarten- und Schulzeit in Kelberg: „Es war zuerst ein Paradies, denn bis zu diesem Zeitpunkt habe ich keine Spielsachen gekannt.“ Dann aber musste sie schnell erfahren, dass sie aufgrund ihres fremden Aussehens doch eine Außenseiterrolle einnahm. Sie sagt: „Die Kinder haben mich Hexe genannt.“ Schließlich habe das eine Erzieherin mitbekommen, die dann aufklärende Gespräche mit den Kindern geführt habe, sodass sich die Situation entschärfte.

Später in der Schule in Kelberg „gab es eine Lehrerin, die uns von Anfang an geholfen hatte und das bis heute“, sagt Anwari glücklich. Ab der zehnten Klasse gab es im Umgang mit einigen Schülern doch wieder Probleme gestand sie vorher im TV-Gespräch. „Wir waren in der Pubertät und viele wollten nur Party machen“, sagt Anwari, „aber meine Eltern haben immer gesagt, Bildung ist unsere Waffe, Bildung ist Macht“. Deshalb galt sie auch schnell als Streberin oder Langweilerin und wurde gemobbt. Sogar ein Lehrer habe darauf bestanden, sie nicht zum Gymnasium zu schicken, weil sie es nicht schaffen würde. „Ich wollte aber meinen Eltern auch etwas zurückgeben und habe viel gelernt“, sagt die junge Autorin. Und sie hat es geschafft. Gerade hat sie ihren Bachelorabschluss im Studium Soziale Arbeit in der Tasche und wird in Kürze ihr Masterstudium aufnehmen.

Berührungsängste habe es auch unter den Erwachsenen in Kelberg gegeben. „Ganz klar, wir waren die einzigen Ausländer und waren eine Attraktion“, betont Anwari, „wir haben die Nachbarn nach Hause eingeladen, und nachdem sie uns besser kennengelernt hatten, wurde alles anders“. Und nach Erscheinen des Buches haben sich sogar ehemalige Schulfreunde bei ihr entschuldigt.

Die junge Frau kämpft für ein Verständnis auf beiden Seiten kämpft. Deshalb habe sie das Buch geschrieben, dessen Kapitel sie mit Erzählungen ihrer Familie füllte. „Ich möchte damit Flüchtlinge und Einheimische gleichermaßen aufklären. Den einen möchte ich sagen: Lernt erst einmal die Leute kennen und urteilt dann! Den anderen: Bemüht euch, ich habe es auch geschafft!“

Und warum wollte die Familie unbedingt nach Deutschland? „Wenn wir alles riskieren, dann gehen wir doch nicht in ein Land, das selbst wirtschaftliche Probleme hat. Natürlich wollten wir nach Deutschland“, sagt Arian Anwari, die sich heute selbst bei der Integration von Flüchtlingen engagiert.

„Ich werde bestimmt viel Zeit brauchen, um das zu erreichen, was sie erreicht hat“, sagt Raeda Nissan aus Syrien im Anschluss an die Lesung, „aber es hat mir Mut gemacht, da ich in der gleichen Situation bin“.

Berührend fand Elisabeth Schäfer aus Pelm Anwaris Schilderungen der Flucht. „Ich habe selbst zwei Afghanen zuhause, sie wollten nicht mitkommen, weil das wohl alles noch zu frisch für sie ist“.

Das Buch von Arian Anwari ist erhältlich im Café Asyl und der Buchhandlung Werner in Daun sowie im Internet. ISBN 978-3-74488-637-6

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