Bildung „Rührt immer wieder in diesem Thema“

Daun/Mainz/Neustadt an der Weinstraße · Auch wenn die meisten Schüler zurzeit zuhause unterrichtet werden, ist am Geschwister-Scholl-Gymnasium (GSG) in diesen Tagen der Opfer des Nationalsozialismus (NS) gedacht worden. Dazu führte die ehemalige Schülerin Franziska Kaiser per Videokonferenz durch eine Ausstellung.

 Franziska Kaiser (links) und GSG-Schulleiter Torsten Krämer im Online-Gespräch.

Franziska Kaiser (links) und GSG-Schulleiter Torsten Krämer im Online-Gespräch.

Foto: TV/Torasten Krämer

Auf die Minute genau um 10.15 Uhr sitzen 22 Schüler der Jahrgangsstufe 12, ihre Geschichtslehrer Jakob Bohr und Daniel Kugel sowie die TV-Mitarbeiterin bei sich zuhause am PC. Und - in Mainz - Franziska Kaiser.

Die 23-Jährige stammt aus Kelberg, sie hat das Abitur am GSG gemacht und studiert im neunten Semester Geschichte und Sport für das Lehramt an Gymnasien. Im Rahmen des Geschichtsstudiums ist sie an einer Ausstellung zur NS-Zeit in Neustadt an der Weinstraße beteiligt. Und weckt an ihrer ehemaligen Schule Interesse daran. Es wird geplant, dass einzelne Klassen und Kurse die Ausstellung besuchen. Doch coronabedingt kann das GSG (noch sonst ein Interessent) die Ausstellung nicht persönlich in Augenschein nehmen. Da entsteht die Idee eines Online-Projekts mit virtueller Führung anlässlich des Holocaust-Gedenktages.

Per Videokonferenz findet also nun die Veranstaltung für die Zwölfer statt. Sie stellt sich als Erinnerungsarbeit par excellence heraus (was nach Auskunft von Schulleiter Torsten Krämer und der Geschichtslehrer Lisa Heinrichs, Felix Lindner und Volker Weinzheimer auch für die weiteren fünf Videokonferenzen mit den Klassen 9 bis 11 gilt).

Wie es möglich war, dass die NS-Diktatur in dem immensen Ausmaß Fuß fassen konnte, welche Mechanismen ihr zugrunde lagen, wie die Menschen sich unmittelbar nach 1945 verhielten, wie wir heute mit der NS-Geschichte umgehen – entlang dieser Leitfragen, mit dem Begriff der „Volksgemeinschaft“ als rotem Faden und mit Zeitzeugenberichten bietet Franziska Kaiser den Schülern immer wieder Diskussionsanlässe. So stellt sie denjenigen, die bei einer neuerlichen Umfrage zu 81 Prozent glauben, dass die Deutschen damals „nichts oder nichts Genaues“ von den NS-Gräueln gewusst hätten, die Aussage einer Zeitzeugin aus Neustadt gegenüber: „Wir haben das gewusst von Dachau und alles, das haben wir Kinder alles gewusst.“ Mittels Tondokument gibt Franziska Kaiser ein erschütterndes Beispiel von der Einschüchterung eines Neustadter Pfarrers durch „Abreibung“ genannte Hiebe, Beleidigungen und Verhöhnungen.

Im Bewusstsein der immer wieder geäußerten Forderung, „endlich einen Schlussstrich unter die NS-Zeit zu ziehen“, appelliert Franziska Kaiser an die Schüler: „Rührt immer wieder in diesem Thema. Fragt auch nach der NS-Zeit in Eurer Heimat, denn Ihr verbrennt Euch heute nicht mehr daran.“ Sie zeigt historische, sich erstaunlich ähnelnde Fotografien von einer Wahlkampfveranstaltung in Neustadt und von einem NSDAP-Parteitag in Daun sowie von dem damaligen KZ in Neustadt und von dem Arbeitslager für Kriegsgefangene und Juden in Bongard bei Kelberg.

Franziska Kaiser diskutiert mit den Schülern über den Umgang mit den aus der NS-Zeit stammenden Begriffen und Institutionen „Weinstraße“, „Weintor“ und „Weinkönigin“. Sie setzt Impulse mit dem Foto eines in Ölpapier gewickelten Hitler-Porträts, das lange nach 1945 auf dem Dachboden eines Hauses in Neustadt gefunden wurde, und mit der Angabe der hohen Verkaufszahlen von Hitlers „Mein Kampf“.

 Der Name verpflichtet: Anlässlich des Holocaust-Gedenktags hat es am GSG ein Online-Projekt mit virtueller Führung gegeben.

Der Name verpflichtet: Anlässlich des Holocaust-Gedenktags hat es am GSG ein Online-Projekt mit virtueller Führung gegeben.

Foto: TV/Stephan Sartoris

Am Ende der 90-minütigen Geschichts- und Gedenkstunde sagt die Studentin: „Ich bin baff und begeistert, wie gut Ihr argumentiert und wie treffend Ihr Eure Meinung auf den Punkt bringt“ (siehe Stimmen).

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