Glaube im Alltag

Fastenzeit, so heißen die vierzig Tage zwischen Aschermittwoch und Ostern immer noch, obwohl nur mehr wenige Christen diesen Namen wörtlich nehmen und spürbar fasten. Die Fastenzeit ist nicht dafür da, dass wir uns und den anderen zeigen, was für tolle Hechte wir sind, wenn wir beweisen, auf was wir alles verzichten können.

 Stefan Trauten. Foto: Bistum Trier

Stefan Trauten. Foto: Bistum Trier

Die Fastenzeit ist keine Zeit, an deren Ende der Gewinner des Entsagungs-Zehnkampfes ausgelobt wird. Die Fastenzeit ist eine Zeit, in der wir überdenken können, was uns hält und trägt - und wie wir miteinander umgehen. Die Fastenzeit ist die Zeit, in der wir uns selbst anschauen - ohne Angst vor unseren Schwächen, vor unseren eigenen Lieblosigkeiten, unseren Fehlern und Macken. Wir dürfen uns von Gott sagen lassen, dass er sich über uns freut, dass wir seine großartigste Idee sind. Wir dürfen unsere Berufung überdenken, die Berufung, zu lieben, ohne Angst, am Schluss die Dummen zu sein, ohne Angst, dass es nicht lohnt zu lieben, ohne Angst, dass wir doch nur enttäuscht werden. Vielleicht müssen wir manchmal investieren, etwas mehr Offenheit zeigen als der andere, damit unsere Beziehungen richtig in Gang kommen. Vielleicht werden wir manchmal trotzdem enttäuscht werden, weil die Angst sich als stärker erweist. Aber letzten Endes werden wir erfahren, dass wir einander näherkommen und Gott dadurch die Ehre erweisen: im Zuhören, im Sprechen, im Lächeln oder in der Umarmung des Nächsten. Wir erweisen Gott dort die Ehre, wo wir uns gegenseitig wahrnehmen, füreinander eintreten und uns umeinander sorgen. Das ist gar nicht so einfach: manche Menschen gehen uns zu sehr gegen den Strich, und es hilft alles nichts; so sehr wir es auch versuchen, wir können sie nicht lieben. Manchmal ist ein Streit vorangegangen, und wir sind zu verletzt, um zu verzeihen. Manchmal passt uns der andere einfach nicht, und wir sind unserer eigenen Engherzigkeit hilflos ausgeliefert. Wir merken allerdings selbst, dass es uns nicht guttut, wenn wir nicht lieben können. Es kostet Energie, einen Groll gegen den anderen zu haben. Wenn also alles nichts hilft, dann zuerst einmal beten: "Lieber Gott, hilf mir, diesen Kerl zu lieben". Sollte das auch nichts helfen, dann einen Schritt weitergehen und beten "Gott, lieb\' du ihn, ich bin gerade verhindert." Wenn wir es dem anderen gönnen, dass Gott kurz liebevoll auf ihn schaut, dann ist das schon ein Schritt in die richtige Richtung. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine fruchtbare und gute Fastenzeit! Stefan Trauten, Dechant von St. Willibrord

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