"Heute kann ich darüber sprechen": Walsdorfer hält in einem Band seine Kriegserinnerungen fest

Walsdorf · Jahrzehntelang konnte Albert Oehmen aus Walsdorf nichts von seinen Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs und der Gefangenschaft erzählen. Dafür quälten ihn schlimme Träume, aus denen er oft schreiend erwachte. Jetzt hat er einen kleinen Band herausgebracht, in dem er seine Erinnerungen festgehalten hat. Es ist ein Appell für Frieden, Demokratie und Toleranz.

 Hat seine Kriegserlebnisse in einem Büchlein zusammengefasst: Albert Oehmen (88) aus Walsdorf. TV-Foto: Alois Mayer

Hat seine Kriegserlebnisse in einem Büchlein zusammengefasst: Albert Oehmen (88) aus Walsdorf. TV-Foto: Alois Mayer

Foto: (e_gero )

Walsdorf. "Schreib dies alles auf", wurde er gebeten, und so hat Albert Oehmen (88) aus Walsdorf für seine Kinder und Enkelkinder einen Band verfasst mit dem Titel "Soweit ich mich erinnere". Gedacht auch als Mahnung für den Frieden und als Warnung, misstrauisch zu sein gegen alles und alle, die demokratisches Handeln einschränken wollen.

Es ist erstaunlich, wie gut Albert Oehmen noch jene Zeit vor mehr als 70 Jahren in Erinnerung hat. Dabei konnte er Jahrzehnte nicht über seine Erlebnisse sprechen, die ihn wortwörtlich um den Schlaf gebracht und, wie er sagt, "meine Jugend geraubt" haben. Erst in den letzten Jahren, lange nach seiner Verrentung als Maschinenschlosser in Jünkerath, brach er sein Schweigen und sprach mit seiner Familie über all die schlimmen Erlebnisse. Doch jetzt sprudelt es aus ihm heraus: "Ich war noch keine 17 Jahre alt, als ich am 1. Februar 1944 zu einem Wehrertüchtigungslager in die Rhön einberufen wurde. Diese Ausbildung in hohem Schnee und Kälte verlangte alles von uns ab. Wir sollten ja zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie Windhunde sein. Das Resultat war, dass wir nach vier Wochen körperlich so am Ende waren, dass mein Freund Oskar von seinen Eltern am Bahnhof mit dem Schlitten nach Hause gefahren werden musste, weil er keine Kraft mehr hatte."Im Dezember 1944 an die Front

Im Dezember 1944 erhielt Oehmen seinen Stellungsbefehl. Er wurde einige Wochen in Hamburg gedrillt und an Granatwerfern ausgebildet. "Wir erfuhren, dass die Alliierten bereits an den Eifelgrenzen standen, und hörten Gerüchte vom verlorenen Krieg. Dennoch wurde uns weiter die Propaganda vom Endsieg und von Wunderwaffen eingeimpft und dass wir die stolze Aufgabe hätten, Deutschland vor den Bolschewiken zu retten. Und dann mussten wir an die Ostfront."

Dort wurde Albert Oehmen mit 17 Jahren in der von Russen eingekesselten Stadt Leobschütz (heute Polen) in schwere Kämpfe verwickelt und verwundet. Noch heute leidet er unter etlichen Splittern im Körper. Kaum aus dem Lazarett entlassen, wurde er an die Elbe in der Tschechoslowakei beordert. Und da geschah es dann am 9. Mai 1945. Die deutsche Wehrmacht hatte kapituliert, der Krieg war zu Ende, aber Albert traf mit seiner Kompanie auf dem Rückzug auf russische Soldaten, die alle Deutschen gefangen nahmen. Nach schier endlosen Märschen, "wer dabei nicht mithalten konnte und zurückblieb, wurde erschlagen oder erschossen", erreichte Albert mit Hunderten Kameraden das Gefangenenlager in Sysran an der Wolga. "Lager ist das falsche Wort, es waren Erdbunker, menschenunwürdig, ein paar kleine Luken als Fenster, keine Öfen, lange Pritschen mit Stroh, auf denen wir wie Heringe lagen, Köpfe kahlgeschoren, total verlaust, von Wanzen gepeinigt."

Albert wurde von allen nur Bubi genannt, weil er klein und jung war. "Aber ich war nicht der Jüngste, mein Kamerad Gerhard war erst 16 Jahre", sagt er. Jahrelang hätten sie schuften und leiden, Straßen und Brücken bauen, Wälder roden und Bauern in der Landwirtschaft helfen müssen. "Raboti dawai, skore domoi! - Arbeitet schnell, dann dürft ihr bald nach Hause! So brüllten uns die Bewacher an. Aber, gleich wie viel wir schufteten, nach Hause durften wir nicht!"
Hunderte seiner Kameraden sah Albert sterben, namenlos irgendwo im Gelände verscharrt. "Am Schlimmsten waren jedoch der Hunger und die Enttäuschungen, dass die Gerüchte, wir würden bald in die Heimat entlassen, sich stets als falsch erwiesen", sagt er heute.Seit Dezember 1949 frei

 Albert Oehmen, genannt Bubi, im November 1947 – als 20-jähriger Gefangener.

Albert Oehmen, genannt Bubi, im November 1947 – als 20-jähriger Gefangener.

Foto: (e_gero )


Erst am 12. Dezember 1949 wurde Bubis Sehnsucht Wirklichkeit. Da traf er wieder am Bahnhof Walsdorf ein, begrüßt vom ganzen Dorf und seinen vor Freude weinenden Eltern.
"Sechs Jahre habe ich nur Angst erlebt, sechs Jahre nur Hunger. Wo ist meine Jugend? Sie blieb zurück bei Führer, Volk und Vaterland!" Trotz des unsagbaren Leids, der schrecklichen Kriegserlebnisse und der bitteren Erfahrungen während der Gefangenschaft sagt Albert Oehmen: "Zorn auf Hitler, Stalin und den Sadismus der kommunistischen Regierung - ja; aber nicht auf den Russen als Volk oder unsere Bewacher. Die waren genauso schlecht dran wie wir, litten mit uns Hunger und lebten in ständiger Angst, in ein Strafgefangenenlager nach Sibirien versetzt zu werden." Auch bei der einfachen russischen Landbevölkerung erfuhren die Gefangenen laut Oehmen mehr als einmal Mitleid und Zuwendung, "wenn sie uns von dem Wenigen, was sie selber hatten, heimlich eine Kartoffel, Zwiebeln oder Kruste Brot zukommen ließen".

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