Ignorieren, verzweifeln, akzeptieren

GEROLSTEIN/HILLESHEIM/JÜNKERATH. (vog) Ein neuer Gesprächskreis für pflegende Angehörige wird in den Verbandsgemeinden Gerolstein, Hillesheim und Obere Kyll angeboten. Beim ersten Treffen morgen um 18 Uhr im Hillesheimer Pfarrheim geht es darum, Entlastungsangebote kennen zu lernen. Der TV besuchte Henriette Böcker, die ihren schwerkranken Ehemann pflegt und seit Jahren am Dauner Gesprächskreis teilnimmt.

"Es traf uns vor elf Jahre wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wir konnten es nicht auf uns zukommen sehen", blickt Henriette Böcker zurück. Die Diagnose bei ihrem Ehemann Werner: Multiple Sklerose (MS). Heute kann er nicht mehr gehen, nicht stehen, sich nicht selbst aus dem Bett bewegen. Das Augenlicht des 58-Jährigen ist mittlerweile so stark eingeschränkt, dass er nicht mehr fernsehen oder lesen kann. Radiohören ist das einzige, was ablenkt. "MS ist nicht heilbar. Nach und nach greift die Krankheit alle Organe und den Bewegungsapparat an", erklärt die 55-Jährige. "Zuerst will man es nur ignorieren, dann kommen die Verzweiflung, später Depressionen und dann erst die Akzeptanz. Das haben wir beide so mitgemacht", beschreibt sie die Gefühle.Der Freundeskreis ist geschrumpft

Vor vier Jahren gab die ehemalige Sekretärin ihren Job auf. Ihr schwerkranker Mann braucht sie rund um die Uhr. Henriette Böcker: "So lange es irgendwie geht, bleibt er zu Hause. Es ist für mich unvorstellbar, ihn in ein Pflegeheim zu geben." Sie habe sich daran gewöhnt, immer "da zu sein". Der Freundeskreis des kinderlosen Paars sei geschrumpft. Böcker: "Ich kann nicht ad hoc irgendwo hingehen. Ich brauche immer lange Vorlaufzeit, weil ich für Pflege-Ersatz sorgen muss." Maximal zwei Stunden kann sie ihren Mann alleine lassen. Die Monatstreffen des Gesprächskreises Daun gehören zu ihren festen Terminen. "Den lass ich mir nur im äußersten Notfall entgehen, weil immer was rüber kommt." Mal werde über die neuesten Gesetzesänderungen informiert, mal stelle sich die Hospizgruppe vor. Auch die möglichen Pflegehilfsmittel würden gezeigt. "Ich bekomme die Infos, was es alles gibt und kann dann selbst entscheiden, was für meinen Mann gut wäre", sagt Böcker. Weder beim Arzt noch bei der Kranken- oder Pflegekasse würden die pflegenden Angehörigen so konzentriert informiert. Auch komme die Geselligkeit und der Gedankenaustausch nicht zu kurz. "Ohne pflegende Angehörige würde das System zusammenbrechen", sagt Irmgard Uhlendorf von der Beratungs- und Koordinierungsstelle. Gemeinsam mit Krankenschwester Annette Malburg leitet sie den neuen Gesprächskreis in Hillesheim. Sozialarbeiterin Uhlendorf weiß um die Probleme der pflegenden Angehörigen: "Sie sind zeitlich enorm eingebunden und seelisch belastet. Zuzusehen, wie die Demenz bei einem Familienmitglied fortschreitet, ist oft ein Abschiednehmen über viele Jahre hinweg." Werde ein Elternteil gepflegt, komme oft die Schwierigkeit hinzu, Kinder, Partner und Pflege unter einen Hut zu kriegen. Phasen des "Ausgebrannt-Seins" seien keine Seltenheit. Allerdings meint Uhlendorf: "Die meisten der pflegenden Angehörigen machen es gerne." Hilfestellungen soll der Gesprächskreis geben. 200 Patienten werden in den drei Verbandsgemeinden von Angehörigen gepflegt. Der Gesprächskreis für pflegende Angehörige wird vom Caritasverband der Region Westeifel sowie der Katholischen Erwachsenenbildung Prüm ein Mal im Monat angeboten. Die Teilnahme ist kostenlos. Das erste Treffen ist am 20. Juli, 18 bis 19.30 Uhr, im Pfarrheim Hillesheim. Information und Anmeldung unter Telefon 06591/7003.

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