"Jeder ist doch selber schuld, wenn er zu viel trinkt"

GEROLSTEIN/DAUN. Vor dem Amtsgericht Daun hat ein 23-jähriger Türke aus der Verbandsgemeinde Gerolstein eine Schlägerei gestanden, die im vergangenen Jahr auf der St. Anna-Kirmes stattgefunden hatte. Schüler der neunten Klasse der Regionalen Schule Gerolstein haben die Verhandlung verfolgt.

Am 30. Juli vergangenen Jahres eskalierte um 2.40 Uhr ein Konflikt zwischen jungen Männern am Bierpavillon auf dem Arnoldy-Parkplatz in Gerolstein. Staatsanwalt Thomas Grawemeyer warf zum Verhandlungsauftakt dem 23-jährigen Angeklagten vorsätzliche Körperverletzung vor. Die Gruppe, zu der der Angeklagte gehörte, war stark alkoholisiert gewesen und hatte meherere Biergläser auf den Boden geworfen. Das Bedienungspersonal forderte, damit aufzuhören. Als ein Mitarbeiter den Angeklagten von hinten auf die Schulter tippte, habe der Angeklagte ohne Vorwarnung zugeschlagen.Normalerweise schaut man erst, bevor man zuschlägt

Seine rechte Faust traf den Mann aufs rechte Auge. Dem "Veilchen" folgten die Anzeige und ein Polizeiaufgebot. In der Konsequenz erhielt der 23-Jährige einen Strafbefehl über 2250 Euro. Weil er Einspruch einlegte, kam es zur Verhandlung vor dem Amtsgericht Daun. Im Zeugenstand legte der Angeklagte einen völligen anderen Sachverhalt dar. "Ich war gar nicht die ganze Zeit dabei, und als ich kam, ging es um einen Streit, in den ein Freund von mir verwickelt war. Ich habe den Mitarbeiter vom Bierstand für einen Angreifer von hinten gehalten und mich nur gewehrt", erklärte er. Richter Hans Schrot meinte: "Normalerweise guckt man, bevor man zuschlägt. Das ist nicht als Notwehr zu werten." Staatsanwalt Grawemeyer verwies auf die Vorstrafen-Liste: "1999 standen Sie wegen gefährlicher Körperverletzung, 2000 wegen Landfriedensbruch und Körperverletzung sowie 2001 wegen Körperverletzung vor Gericht." Richter Schrot ergänzte die Vergehen: "Im Oktober 2005 haben Sie vor dem Amtsgericht Wittlich wegen Drogendelikten eine Jugendstrafe von zwei Jahre auf Bewährung bekommen." Das Gericht war sich rasch einig, dass die Verhandlung wegen erneuter Körperverletzung die Bewährung aufheben könnte. Grawemeyer: "Sie brauchen einen weiteren Denkzettel." Schrot unterbrach die Verhandlung, damit sich der Angeklagte mit seinem Pflichtverteidiger beraten konnte, ob er den Einspruch aufrecht hält. Ein interessiertes Publikum stellte viele Fragen

Während der Unterbrechung waren die Schüler an der Reihe, konnten Fragen stellen und Bedenken äußern. Schrot erklärte: "Ein Strafbefehl ist so etwas Ähnliches wie ein Urteil ohne Verhandlung." Und der Staatsanwalt erläuterte: "Der Angeklagte läuft volles Risiko, wenn er bei seinem Einspruch bleibt. Denn dann könnte es nicht mehr bei der Geldstrafe bleiben, und er müsste unter Einbeziehung des Wittlicher Urteils ins Gefängnis." Nachdem der Angeklagte den Einspruch zurückgenommen hatte, wurde das Urteil verkündet: Der Strafbefehl belief sich nun auf 1800 Euro (90 Tagessätze je 20 Euro). Die Schüler waren irritiert und fragten: "Muss der jetzt 90 Tage lang jeden Tag 20 Euro bezahlen?" Schrot antwortete: "Nein, der Tagessatz ist ein Maßstab, der sich nach den persönlichen Verhältnissen richtet. Wäre der Angeklagte beispielsweise nicht arbeitslos, sondern würde viel Geld verdienen, könnten es statt 20 Euro auch 50 Euro und somit 4500 Euro Strafe sein." Der Staatsanwalt erklärte, dass bei Nichtbezahlung der Strafe je Tagessatz ein Tag Haft drohe. Schülerin Saskia Krämer fand das Urteil zu hart: "Die Strafe war übertrieben, geprügelt wird sich doch immer schon mal." Ihre Klassenkameraden Marcel Laubach und Lucas Fischer waren da ganz anderer Meinung: "Der Schuldspruch war absolut gerecht. Schließlich ist doch jeder selber schuld, wenn er zuviel trinkt und dann ausklinkt." Lehrer Helmut Schäfer, der mit den Neuntklässlern den Sozialkundeunterricht in den Gerichtssaal verlegt hatte, war zufrieden, gab es doch genug Gesprächsstoff für die nächsten Unterrichtsstunden.

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