Künftig nicht mehr "mindestens Gymnasium"

MAINZ/GEROLSTEIN. "Das Konzept ist fantastisch - weil es sowohl starke als auch schwache Schüler besser fördert und weil null Redundanz drin steckt". Mit hehren Worten beschreibt Oberstudiendirektor Heinz Brauns, Leiter der Berufsbildenden Schule (BBS) Gerolstein, trotz organisatorischer Probleme die Umstrukturierung der BBS in Rheinland-Pfalz, die nach den Sommerferien greift.

Seit mehreren Jahren ist sie in der Diskussion, doch wegen politischer Querelen wurde sie oft verschoben: die Reform der BBS in Rheinland-Pfalz. Nun ist es so weit: Ab 1. August verläuft das berufliche Lernen in neuen Bahnen. Diese sollen kürzer sein, Umwege vermeiden und somit auf direkterem Weg zum Ziel führen und dabei dennoch den unterschiedlichen Bedürfnissen und der Leistungsfähigkeit der Schüler angepasst sein. Für Hans-Jürgen Berg (siehe Interview) vom rheinland-pfälzischen Bildungsministerium hat das Konzept fünf Eckpunkte: die Durchlässigkeit verbessern, mehr Transparenz schaffen, die Bildungswege flexibler gestalten, die berufsbegleitende Höherqualifizierung ermöglichen und Benachteiligte besser fördern. Die Vorzüge verdeutlicht Berg an einem Beispiel: "Ein Hauptschüler kann auf dem beruflichen Weg in fünfeinhalb Jahren zum Abitur kommen. Das eröffnet neue Perspektiven und sollte für die Eltern bereits vorm Verlassen der Grundschule eine Entscheidungshilfe sein: Künftig muss es nicht mehr ,mindestens‘ das Gymnasium sein." Bis es in Gerolstein so weit ist, wird mindestens ein weiteres Jahr ins Land gehen, denn dafür muss auch die Berufsoberschule (BOS) II eingerichtet sein. Zum Start wird nur die BOS I eingerichtet, die die Absolventen mit der Fachhochschulreife entlässt. Schulleiter Brauns, Chef von 1300 Berufsschülern und 88 Lehrern, geht davon aus, dass "wir auch die BOS II noch draufsatteln werden - falls wir die Zulassung erhalten." In den vergangenen Monaten (und Jahren) ging es vor allem darum, den künftig in Lernbausteinen - mit unterschiedlichem Niveau - unterteilten Unterricht zu organisieren. Studiendirektor Reiner Uhlendorf von der Schulleitung der BBS Gerolstein sagt: "Das ist auf dem Land gar nicht so einfach, weil wir die Schüler bei unserem großen Einzugsgebiet nicht mal eben abends und samstags einbestellen können."Konzept sorgt für "Entrümpelung"

Dennoch gewinnt Schulleiter Brauns dem Modulsystem nur Positives ab, da es die Wiederholung von Lerninhalten vermeide, somit für eine "Entrümpelung" und den rascher erlangten Abschluss sorge. Brauns: "Der neue Weg macht Bildung effizienter, da der Schüler ein Jahr früher studieren kann als bisher." Benötigte ein Jugendlicher mit mittlerer Reife in der BBS bislang 2040 Stunden bis zur FH-Reife, so sind es künftig noch 1760. "Die Berufsschule mit Fachhochschulzusatzunterricht ist der Turbo- und Königsweg: Der Schüler kann sich danach entscheiden, ob er ein Studium aufnehmen oder seinen Meister machen will", nennt Brauns die Vorzüge auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sollen auch die schwächeren Schüler - im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahrs - gezielter gefördert werden: durch die Bildung von homogeneren Klassen, die individuelle Betreuung und fachbezogene Qualifizierung der Schüler Stück für Stück, die Ausweitung des Sprachunterrichts und der Schulsozialarbeit sowie die intensiveren Fort- und Weiterbildung der Lehrer. Und auch in der Berufsfachschule (BF) I wird der Förderung mehr Bedeutung beigemessen: durch drei Stunden Förderunterricht pro Woche und zusätzliches Methodentraining. Doch auch, wenn das Konzept mehr Möglichkeiten bietet, ist es mit der Umstrukturierung nicht getan. Berg sagt: "Wir müssen uns künftig stärker um die Jugendlichen und ihre Eltern kümmern und sie bei der Berufsentscheidung begleiten." Das sieht auch Brauns so und schlägt daher vor, die individuelle Laufbahnberatung fest in den Mittelstufen zu verankern. In der BF I wird sie künftig ein fester Bestandteil sein.Bei der Jobauswahl ist auch Eigeninitiative gefragt

In den zuführenden Schulen werden zwar bereits Veranstaltungen zum Thema Jobwahl wie Betriebspraktika oder Berufsvorbereitungswochenenden (wie an der Grund- und Hauptschule in Niederstadtfeld) gemacht, dennoch appelliert Matthias Klein, Rektor in Niederstadtfeld: "Die Schüler und deren Eltern sollten sich nicht alleine auf die Schule und den Berufsberater verlassen, sondern Eigeninitiative an den Tag legen." Grundsätzlich findet er das neue Berufsschulsystem gut, weil "es die Chance zum Aufstieg bietet und die Berufsausbildung mehr Anerkennung erhält." Die rund zwei Dutzend Neuntklässler des Arbeitslehreunterrichts von Thomas Follmann, von denen nicht einmal eine Handvoll einen Ausbildungsvertrag in der Tasche hat, sind angesichts der Neuerungen gespannt. Und während die einen die Versetzungshürde zwischen Berufsfachschule I und II vor allem für die schwächeren Schüler als "weiteren Druck" empfinden, erachten die anderen diese als sinnvoll: "Sonst geht man mehrere Jahre auf die Schule und steht mit 20 da und hat doch nichts."

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