Mensch bleiben in harter Zeit

Kelberg-Meisenthal/Müllenbach · Am 23. Dezember jährt sich zum 68. Mal der Absturz eines amerikanischen Flugzeugs auf die "Werthwiese" am Rand des Kelberger Ortsteils Meisenthal. Vier der sechs Besatzungsmitglieder verloren dabei ihr Leben. "Bei allem Leid ist die folgende Geschichte auch ein Beispiel von Menschlichkeit im Krieg", sagt der Zeitzeuge Hermann Bierschbach.

 „Diese Geschichte hat mich nie wieder losgelassen“: Hermann Bierschbach, Zeitzeuge des Flugzeugabsturzes im Jahr 1944. TV-Foto: Brigitte Bettscheider

„Diese Geschichte hat mich nie wieder losgelassen“: Hermann Bierschbach, Zeitzeuge des Flugzeugabsturzes im Jahr 1944. TV-Foto: Brigitte Bettscheider

Kelberg-Meisenthal/Müllenbach. Er hatte Glück. Er kam lebend heraus. Aber er kommt nicht darüber hinweg, was mit dem Rest der Männer passiert ist. Das berichtet der 32 Jahre alte Joseph Kowalski im Sommer 1945 aus einem Chicagoer Krankenhaus in einem Brief an Edward Potocnik (23).
Was Kowalski und Potocnik verbindet: Sie überlebten den Absturz eines B-26-Bombers bei Meisenthal (heute Ortsteil von Kelberg) einen Tag vor Heiligabend 1944. Die anderen Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Kowalski starb bereits 1952. Potocnik ist heute 89 Jahre alt und lebt mit seiner Frau in einem Altersheim in Wisconsin.
Dort besuchten ihn Anfang dieses Jahres drei Landsleute, und dort holte er Kowalskis Briefe aus einem Karton hervor. "Diese Briefe schließen eine Lücke nach Jahrzehnten", sagt Hermann Bierschbach (siehe Extra). Die Geschichte des Flugzeugabsturzes habe ihn nicht mehr losgelassen, seit er als Schulkind aus der Ferne Augenzeuge geworden war, erzählt er.
Amerikanier forschen nach


Und diese Geschichte berührte auch die Besucher aus den USA sehr, denen Bierschbach im Sommer 2011 während ihres Urlaubs in der Eifel die Absturzstelle zeigte und von seinen Recherchen berichtete. Zuhause zurück machten sie Potocnik ausfindig, besuchten ihn im Altersheim und schickten Kopien von Kowalskis Briefen in die Eifel.
Was Bierschbach an den Ereignissen rund um den Flugzeugabsturz (siehe Extra) weiterhin besonders bewegt, ist die Rolle, die die damals 44 Jahre alte Luise Vetter spielte. Sie stammte aus einer Düsseldorfer Familie. Ihr Vater hatte in der Eifel seit Jahrzehnten ein Jagdrevier gepachtet.
Um den Bombenangriffen in ihrer Heimatstadt zu entgehen, hatte die Familie sich in Meisenthal ein altes Haus bewohnbar gemacht. Dorthin brachten ein Soldat und zwei Jugendliche den verletzten Joseph Kowalski. Luise Vetter legte ihn auf den Tisch - "gerade unter den Adventskranz", schrieb sie am Abend in ihr Tagebuch.
Er habe Splitter in der Leiste, in Arm und Bein gehabt - "und sehr viel Angst". Sie stillte das Blut, reichte ihm etwas zu trinken und gab ihm in ihrem Schulenglisch ihr Wort, dass ihm nichts geschehen werde. Luise Vetter veranlasste, dass der gefangene Amerikaner nach Adenau ins Lazarett kam, wo ihre Tochter Freya als Krankenschwester arbeitete.
Als Bierschbach die 92 Jahre alte Freya Vetter Ende 2010 in Bad Neuenahr besuchte und mit ihr über das Geschehen vom 23. Dezember 1944 ins Gespräch kam, gab sie ihm den Tagebucheintrag ihrer Mutter zu lesen und überließ ihm das Gedicht, das ihre Mutter über den verwundeten Soldaten geschrieben hatte, zur Veröffentlichung (siehe Extra).Extra

Im 16. Dezember 1944 hatte mit der Ardennen-Offensive die letzte große Schlacht des Zweiten Weltkriegs begonnen. Die westalliierten Truppen waren bis Belgien vorgedrungen. Am 23. Dezember startete am Vormittag die 391. Bomb Group mit 30 Flugzeugen über St. Vith in Richtung Ahrweiler, um eine Eisenbahnbrücke zwischen Walporzheim und Marienthal zu zerstören. Während der Bombardierung wurden sie von etwa 60 deutschen Jagdflugzeugen angegriffen. Dabei verlor die 391. Bomb Group 16 Flugzeuge. 100 Besatzungsmitglieder wurden getötet oder kamen in Gefangenschaft. Zu den 16 Flugzeugen gehörte auch der B-26-Bomber, der um 12.01 Uhr in der Nähe der Meisenthaler Mühle abstürzte. An Bord waren der Pilot Dale C. Detjens, der Kopilot Fredrick T. Kaye, der Bombardier und Navigator Joseph M. Blair, der Funker und Schütze Edward L. Potocnik, der Ingenieur und Schütze Joseph W. Kowalski sowie der Waffenmeister und Schütze Joseph J. Miller. Nach ergebnislosen Suchaktionen 1946 und 1948 barg erst 2009 eine Spezialeinheit des US-Verteidigungsministeriums die letzten Überreste des Piloten und der Maschine aus der "Werthwiese". bbExtra

Hermann Bierschbach (75) ist in Müllenbach (Verbandsgemeinde Adenau) geboren und pensionierter Stadtoberinspektor. Von Jugend an war er an der Geschichte der Region interessiert und passionierter Hobbyfotograf mit den bevorzugten Motiven Landschaft, Natur, Brauchtum. Sein Archiv umfasst Tausende Bilder aus sechs Jahrzehnten. bbExtra

 Luise Vetter – hier ein Foto um 1940 – half nach einem Flugzeugabsturz einem verwundeten Amerikaner und schrieb ein Gedicht darüber. Foto: Archiv/Hermann Bierschbach

Luise Vetter – hier ein Foto um 1940 – half nach einem Flugzeugabsturz einem verwundeten Amerikaner und schrieb ein Gedicht darüber. Foto: Archiv/Hermann Bierschbach

 Die „Werthwiese“ und der Ort Bauler in den 40er Jahren mit dem Absturzort des Flugzeugs (roter Kreis). Foto: Archiv/Hermann Bierschbach

Die „Werthwiese“ und der Ort Bauler in den 40er Jahren mit dem Absturzort des Flugzeugs (roter Kreis). Foto: Archiv/Hermann Bierschbach

Gedicht von Luise Vetter, 23. Dezember 1944 Da liegt der Feind, die Wunden sind tief und trotzend er noch um Hilfe rief. Und über mir brummt der Motoren Lärm und Menschen stürzen mit Streifen und Stern. Aus Trümmern lohen sengende Flammen und wilde Kräfte aneinander rammen. Mein Herz um die Heimat bangt und weint; und vor mir liegt verwundet der Feind. Noch denkend an Flucht, doch die Grenze ist fern, und es rieselt Blut über Streifen und Stern. Da beuge ich mich über die Wunden schon. Denn lag hier nicht auch einer Mutter Sohn? Oh Krieg, oh Schrecken, oh Tod und Graus. Wann ist dieses Elend denn endlich aus? Oh lasst doch beiseite den Hass und den Streit und macht Frieden für eine ewige Zeit. Denn erringt ihr auch Lorbeer und goldenes Erz, ihr trefft doch nur immer einer Mutter Herz!

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