Plötzlich ein neues Lebensgefühl

Dockweiler · Dorothea Kohlhaas aus Dockweiler ist seit sieben Jahren voll erblindet. Ein Implantat erleichert ihr aber nun den Alltag und die Freizeit.

 Die seit sieben Jahren voll erblindete Dorothea Kohlhaas schreibt auf ihrem Organizer Kindergeschichten oder auch Mails. TV-Foto: Lydia Vasiliou

Die seit sieben Jahren voll erblindete Dorothea Kohlhaas schreibt auf ihrem Organizer Kindergeschichten oder auch Mails. TV-Foto: Lydia Vasiliou

Foto: (e_daun )

Dockweiler Aufstehen, duschen, frühstücken und anschließend vier Stunden an ihrem Heimarbeitsplatz. So beginnt gewöhnlich der Tag für Dorothea Kohlhaas, die als Justizangestellte am Amtsgericht in Daun beschäftigt ist.
Aber es gibt einen Unterschied: Die 48-Jährige aus Dockweiler ist blind. "Als ich drei Jahre alt war, haben meine Eltern eine Sehbehinderung bei mir festgestellt", sagt Kohlhaas.
Die Ärzte haben damals schon prognostiziert: Das Kind kann blind werden. "In der Schule musste ich ganz vorne sitzen, Bücher habe ich mir direkt unter die Nase gehalten", so beschreibt Kohlhaas ihre frühe Kindheit. Auch ihre Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin habe sie abgeschlossen. Dann, mit 29 Jahren, haben die Ärzte ihr Retinitis Pigmentosa (siehe Extra) bescheinigt. "Die Krankheit verläuft in Schüben, und das normale Gesichtsfeld von 180 Grad wurde immer enger", sagt Kohlhaas. Mit 41 Jahren war sie dann voll erblindet. Nun, fast auf den Tag genau vor vier Jahren, hat man ihr das Netzhaut-Implantat Argus II (siehe Info) eingepflanzt.
Zusammen mit ihrer Spezialbrille, an der eine Kamera angebracht ist, die wiederum Daten an einen Sender, den sie am Körper trägt, weitergibt, hatte sie plötzlich ein neues Lebensgefühl: "Das war so toll, ich bemerkte, jetzt passiert was. Ich konnte wieder Dinge zuordnen."
Aber es sei ein künstliches Sehen mit einem Gesichtsfeld von 20 Grad. "Ich sehe einen Lichtpunkt und kann mich wesentlich besser orientieren." Zwar kann sie keine Personen oder Fahrzeuge erkennen, "aber ich sehe einen Kontrast und Bewegung".
Da macht auch das Reisen erst richtig Spaß. Sie liebt das Meer, denn "ich erkenne, wenn die Wellen auf mich zukommen". Weiße Wolken am blauen Himmel kann sie wahrnehmen oder auch wenn die vier Hunde, davon einer als Blindenführhund ausgebildet, miteinander auf der Wiese herumtollen. Ein besonderes Highlight sei ein Feuerwerk. "Ich sehe die Explosion und die herunterregnenden Lichtströme", erzählt Dorothea Kohlhaas.
Auch Weihnachtsmärkte mit den vielen Lichtern seien großartig. Und wie schafft sie den Haushalt? "Das macht mein Mann, der ist zwar auch blind, aber er ist der Hausmann, und ich arbeite". Und wenn sie nicht arbeitet, schreibt sie Geschichten für Kinder über einen Hund namens Huckleberry.
Dazu benutzt sie einen Organizer für Blinde, ein kleines computerartiges Gerät, das mit ihr spricht, jeden Tastendruck erläutert und jeden Buchstaben, den sie eingibt, wiederholt.
Sie kann damit auch ihre Mails oder andere Dokumente lesen. Zum Telefonieren mit dem I-Phone der Firma Apple steht ihr "Siri" zur Seite, eine Software, die eine Stimme erkennt und Befehle, wie beispielsweise eine Nummer zu wählen, ausführt.
Neben dem Schreiben hört sie gerne Hörbücher oder strickt und geht gerne bummeln, dann mit Hund und weißem Blindenstock. Sie sei gerne unter Menschen, erzählt die Dockweilerin.
Aber sie habe die Beobachtung gemacht, dass viele Leute Probleme hätten, auf sie zuzugehen, "selbst Leute aus dem Dorf haben Berührungsängste, aber ich bin immer noch Doro". Das finde sie schade, denn "man kann mich immer noch ansprechen, ich breche dann nicht in Tränen aus", betont sie.
Niemand soll sie betrachten, als käme sie von einem anderen Stern. Sie wünscht sich einen ganz normalen Umgang wie früher. Trotz ihrer Behinderung "ist das Leben schön", sagt Dorothea Kohlhaas mit voller Überzeugung.
Wer sich über das Netzhaut-Implantat informieren möchte, kann sich gerne mit Dorothea Kohlhaas per E-Mail an dorothea.kohlhaas@gmx.de in Verbindung setzen.Extra: SEHPROTESEN: RETINA-IMPLANTATE


Retina-Implantate sind Sehprotesen für stark sehbehinderte oder blinde Menschen, deren Rezeptorzellen der Netzhaut (Retina) krankheitsbedingt ihre Funktion verloren haben. Allerdings bildet deren Sehnerv aber noch eine intakte Verbindung zum Gehirn, wie dies vor allem bei fortgeschrittener Retinitis Pigmentosa vorkommt. Das erste Implantat, das Argus-Gerät, hatte 16 Elektroden. Die klinische Phase-I-Studie mit Argus begann vor 15 Jahren mit der Implantation bei sechs Patienten. Das Argus-II-Gerät enthält 60 Elektroden. Quelle: WikipediaExtra: ERBLICHE AUGENERKRANKUNGEN


Bei der Retinitis Pigmentosa (korrekterweise eigentlich: Retinopathia Pigmentosa) handelt es sich um eine Gruppe von erblichen Augenerkrankungen, bei denen es zu einem Absterben der Netzhaut kommt. In der Regel zuerst die Stäbchen, die in der Peripherie der Netzhaut angesiedelt sind. Die Zapfen im Zentrum der Makula bleiben erhalten. Die Folgen sind Nachtblindheit, eine Verringerung der Sehschärfe und Gesichtsfeldeinschränkungen. Diese Erkrankung kann bei schwerem Verlauf zur Erblindung führen. In Deutschland leiden etwa 30 000 bis 40 000 Menschen an der Krankheit, weltweit rund drei Millionen Menschen. Quelle: blindenverband.org

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