Interview der Woche Eifeler SWR-Intendant Kai Gniffke: „Aufbruch, zu dem es keine Alternativen gibt“

Daun · Kai Gniffke ist seit 2023 Intendant des Südwestrundfunks. Der gebürtige Vulkaneifeler verrät im TV-Interview auch, ob er noch Eifeler Platt spricht.

Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke im Interview mit dem Trierischen Volksfreund.

Foto: Ixfeld Alwin

Ein Eifeler an der Spitze der – nach dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) – zweitgrößten Rundfunkanstalt der ARD: Das ist Kai Gniffke, seit 2019 Intendant des Südwestrundfunks (SWR). Er ist in Trittscheid, ein Ortsteil von Üdersdorf (Kreis Vulkaneifel), aufgewachsen und hat in Daun Abitur gemacht. Im Interview mit dem TV erzählt er, ob er noch Kontakt in die Eifel hat. Und was die größten Herausforderungen das Amt als ARD-Vorsitzender, das er Anfang 2023 für zwei Jahre übernommen hat, mit sich bringt. Sein Ziel: dass die gesamte deutsche Mediennutzung und damit auch der gesellschaftliche Diskurs über die großen Herausforderungen der Zeit nicht nur auf amerikanischen oder chinesischen Plattformen stattfindet.

Sie waren unlängst Redner beim Neujahrsempfang der Stadt Daun. Eine kleine Auszeit außerhalb des Alltags des ARD-Vorsitzenden und SWR-Intendanten, oder Ehrensache für jemand, der aus der Ecke kommt?

Kai Gniffke: Vor Menschen zu sprechen, die sich um das Gemeinwesen verdient gemacht haben, ist eine Ehre. Aber ich sehe es auch als Teil meines Berufs, bei den Menschen zu sein, nicht nur in den großen Metropolen, sondern auch in den ländlichen Regionen. Und dass es dann auch noch ein Heimspiel in der Vulkaneifel war, hat das Ganze richtig rund gemacht.

Apropos Heimspiel: Hätten Sie sich denn vorstellen können, in einem SWR-Studio in Gerolstein zu arbeiten – wenn es das vor 30 Jahren gegeben hätte?

Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke im Interview

Foto: Ixfeld Alwin

Gniffke: Wenn es die Chance gegeben hätte, wäre es auf jeden Fall eine Versuchung gewesen.

Sie sind in der Eifel aufgewachsen. Besuchen Sie die alte Heimat noch häufig? Haben Sie noch Kontakte nach Trittscheid?

Beim Festakt zum 50-Jährigen Bestehen des Geschwister-Scholl-Gymnasium 2012 „gestand“ Kai Gniffke, im Mai 1979 auf der Suche nach einem Andenken an die Schulzeit das Schild „Staatliches Neusprachliches Gymnasium Daun“ abgeschraubt und mitgenommen zu haben. Kurz zuvor war die Schule in Geschwister-Scholl-Gymnasium umbenannt worden. Beim Besuch in Daun übergab er das Schild an den damaligen Schulleiter Klaus Weber (links).

Foto: Stephan Sartoris (sts)
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Foto: Hans Kraemer

Gniffke: Ja. So habe ich den jüngsten Besuch genutzt, dort die Frau meines besten Freunds zu besuchen, der leider schon verstorben ist. Und ich war auch bei seiner Mutter, die in einem Seniorenheim lebt. Grundsätzlich ist der Terminkalender noch etwas voller geworden durch die Übernahme des ARD-Vorsitzes. Aber trotzdem muss es möglich sein, auch private Kontakte zu pflegen mit Menschen, die mir wichtig sind.

Wie steht’s um die Platt-Kenntnisse? Immer noch aus dem Stegreif parat?

Gniffke: Ja. Meine Frau bremst mich schon mal: Schwätz net su vil Platt.

Der derzeitige ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Kai Gniffke (Vierter von links) mit den Intendantinnen und Intendanten der anderen Sender.

Foto: obs/ARD Presse

Wie sieht es bei den Kindern aus?

Gniffke: Da geht es uns wie vermutlich vielen anderen. Sie verstehen Platt, aber sprechen? Leider nein.

Sie haben Ihre Zeit am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Daun als eine prägende Zeit Ihres Lebens bezeichnet. Bezieht sich doch sicher nicht nur drauf, dass Sie Ihre Frau dort kennen- und lieben gelernt haben?

Gniffke: Zur Klarstellung: Meine Frau habe ich 1966 am ersten Grundschultag in Daun kennengelernt. Dann haben wir uns allerdings 13 Jahre ignoriert. Ein Paar sind wir seit der Abifeier 1979, also mittlerweile 44 Jahre. Tatsächlich hätte ich mich in der Schule ruhig etwas mehr auf den Unterricht konzentrieren sollen, dann wäre vielleicht ein besseres Abi­turzeugnis herausgekommen. Das versuche ich bis heute vor meinen Kindern zu verstecken. Damals habe ich einfach eine höhere Priorität auf den Fußballplatz gelegt – und leider auch auf das Feiern danach. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich keine Stunde davon missen.

Sie haben den ARD-Vorsitz von Ihrem Intendanten-Kollegen vom WDR, Tom Buhrow, übernommen. Der hatte einspringen müssen, weil die frühere RBB-Intendantin Patricia Schlesinger von der Position zurückgetreten war. Sie ist Mitte 2022 in den medialen Fokus geraten, es ging unter anderem um Vetternwirtschaft, ein üppiges Bonus-Gehaltssystem, einen teuren Umbau ihrer Dienstetage, um Abendessen auf Senderkosten in ihrer Privatwohnung. Wie sehr hat das dem Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks allgemein und der ARD im Besonderen geschadet?

Gniffke: Natürlich hat das Spuren hinterlassen. Wir haben Anlass zu Kritik gegeben, keine Frage. Dem haben wir uns gestellt und Schlüsse daraus gezogen: Wir schauen nach vorn. Was kann die ARD, was können die einzelnen Sender für das Gemeinwesen tun? Darauf liegt mein Augenmerk als ARD-Vorsitzender und SWR-Intendant.

Apropos ARD-Vorsitz: Sie haben verkündet, dass die Aufwärmphase in dem Amt vorbei sei, die Ansagen an die anderen Intendantinnen und Intendanten seien gemacht. Angekündigt haben Sie weitreichende und tief greifende Veränderungen. Was heißt das konkret?

Gniffke: Erst mal stellt sich die Frage: Wo wollen wir hin? Eine Antwort: Wir wollen die ganze Gesellschaft, alle Altersgruppen überall mit Medieninhalten versorgen. Aber wie erreichen wir das? Mediennutzung hat sich verändert und wird sich weiter verändern. Meine Kinder haben beispielsweise keinen Fernseher mehr, sind aber gut informiert dank Streaming. Das Ziel ist deshalb für die ARD, im Laufe dieses Jahrzehnts der relevanteste Streaming-Anbieter in Deutschland zu werden.

Also Kampfansage an TikTok, Facebook, Instagram & Co?

Gniffke: Ich möchte nicht, dass die gesamte deutsche Mediennutzung und damit auch der gesellschaftliche Diskurs über die großen Herausforderungen unserer Zeit nur auf amerikanischen oder chinesischen Plattformen stattfindet.

Ein hehres Ziel – aber wie dahin kommen?

Gniffke: Wir werden Dinge tun, die bis dato in der ARD so nicht vorstellbar waren. Wir werden journalistische Kompetenzzentren bilden. Das heißt, jeder macht das, was er am besten kann, und stellt das dann der Gemeinschaft zur Verfügung. Also nicht mehr jeder macht alles, aber alles nur ein bisschen.

Sie haben angekündigt, ARD-Spartenkanäle wie One, tagesschau 24 oder ARD alpha auf den Prüfstand zu stellen. Wie weit ist das gediehen?

Gniffke: Wir werden uns auch einschränken müssen und in diesem Jahr einen dieser Sender linear einstellen.

Welcher ist das?

Gniffke: Das steht noch nicht fest. Wir werden darüber im April bei der Sitzung der ARD-Intendantinnen und -Intendanten sprechen und nach Möglichkeit auch entscheiden.

Wie sieht es beim Radio aus?

Gniffke: Auch im Hörfunk stellt sich die Frage: Muss jede Welle 24 Stunden am Tag senden? Oder können wir uns nicht stärker Arbeit teilen? Ich sehe da viel Potenzial, übrigens auch im Verwaltungsbereich.

Da ist Ihnen ein langer Atem zu wünschen, geht es doch an die Besitzstandswahrung der einzelnen ARD-Anstalten. Warum sollten sie freiwillig was abgeben?

Gniffke: Das ist zugegeben ein dickes Brett. Aber ich stelle gerade einen echten Teamgeist, eine wirkliche Aufbruchstimmung in der ARD fest. Wir haben uns verpflichtet, kräftig in Technik und journalistische Exzellenz zu investieren, um das zu erreichen, was ich bereits erwähnt habe: der relevanteste Streaming-Anbieter in Deutschland zu werden.

Sie nennen es Aufbruchstimmung, ich nenne es Alternativlosigkeit.

Gniffke: Was wäre denn die Alternative: das Feld komplett ausländischen Tech-Plattformen überlassen? Natürlich nutzen wir derzeit beispielsweise auch TikTok. Aber was, wenn bei diesem chinesischen Anbieter die Regeln geändert werden und bestimmte Meinungen nicht mehr opportun sind? Oder es hohe finanzielle Hürden für eine Verbreitung von Inhalten gibt? Dann müssten wir uns aus diesen Kanälen zurückziehen – deswegen bauen wir vor mit einem eigenen Angebot, das wir nach transparenten Regeln selbst gestalten, nicht ausländische Tech-Unternehmen. Das ist ein Aufbruch, zu dem es keine Alternativen gibt.

Wo soll die Reise hingehen?

Gniffke: Ziel ist es, ein deutsches Medien-Netzwerk zu schaffen, das so stark ist, dass es für im besten Fall 84 Millionen Menschen attraktiv ist. Und dieses Netzwerk sollte nicht von der ARD allein getragen werden, sondern sehr begrüßenswert wäre, wenn sich alle deutsche Medienhäuser beteiligen würden.

Zitat Ihres WDR-Amtskollegen Buhrow: „Will Deutschland im 21. Jahrhundert weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender? Wenn nicht: Was heißt das? Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?“ Konkret gefragt: Ist es nicht Zeit für einen Zusammenschluss von ARD + ZDF?

Gniffke: Die Frage ist komplett gerechtfertigt. Wollen wir zwei öffentlich-rechtliche nationale Anbieter haben? Meine Antwort: ja. Denn das ZDF ist ein nationales Vollangebot, die ARD macht vor allem ihre regionale Verwurzelung aus. Die ARD ist Fernsehen, erreicht aber auch die meisten Menschen über ihre Radiosender. Sollte sich das ZDF nach einer Fusion an Radioprogrammen beteiligen? Das halte ich nicht für sinnvoll. Ein Zusammenschluss von ARD und ZDF würde aus meiner Sicht die Vielfalt und den publizistischen Wettbewerb einschränken. Was kein erstrebenswertes Ziel sein kann, oder? Zusammenarbeit gerne, auch mit dem ZDF, wo immer das möglich ist, aber dabei nicht die eigenen Stärken vernachlässigen.

Regelmäßig gibt es Diskussionen über die Höhe des Rundfunkbeitrags von 18,36 Euro monatlich. Brauchen die Öffentlich-Rechtlichen künftig mehr Geld oder soll der Beitrag auf diesem Niveau eingefroren werden?

Gniffke: Weder ARD noch ZDF entscheiden über die Höhe des Rundfunkbeitrags. Sie können lediglich ihren Finanzbedarf anmelden. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), ein unabhängiges Expertengremium, rechnet aus, wie hoch der Rundfunkbeitrag sein soll und macht einen Vorschlag. Natürlich geht die Inflation auch an uns nicht vorbei, aber wir sind gehalten, uns auf das Notwendige zu beschränken. Wir wissen, was in der Gesellschaft los ist, wir haben die Bodenhaftung nicht verloren. Wir sagen deshalb, was wir benötigen, und die KEF wird sagen: das braucht ihr oder braucht ihr nicht. Am Ende entscheiden dann sowieso die Bundesländer über die Höhe des Rundfunkbeitrags.

Warum haben Sie sich für die Anfangsphase Ihrer Amtszeit als ARD-Vorsitzender eine PR-Agentur mit ins Boot genommen?

Gniffke: Weil wir uns professionalen Rat geholt haben, um binnen extrem kurzer Zeit ein gut funktionierendes Kommunikationsteam auf die Beine stellen zu können. Kommunikation in einem so großen Verbund wie der ARD ist die wohl wichtigste Aufgabe für den Vorsitzenden. Die nötigen Strukturen sind mit Unterstützung der Agentur aufgebaut worden, und damit ist deren Tätigkeit Ende März dann auch beendet.

Was halten Sie von dem immer mal wieder diskutierten Vorschlag, dass Tageszeitungen vom Staat unterstützt werden?

Gniffke: Ich tue gut daran, weder den Zeitungsverlagen noch der Medienpolitik Ratschläge zu geben. Aber ich weiß natürlich um die schwierige Situation der Zeitungsverlage wegen der enormen Verteuerung des Papiers und der deutlich gestiegenen Kosten wegen des höheren Mindestlohns. Das Verhältnis der ARD zum Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) war in der Vergangenheit nicht immer einfach, ich habe mir vorgenommen, es zu verbessern. Es hat schon jüngst sehr konstruktive Gespräche gegeben, weitere werden folgen.

Das Misstrauen gegenüber Journalisten ist gewachsen, Stichwort Lügenpresse. Wie wollen Sie dem begegnen?

Gniffke: Klingt vielleicht banal, aber ich denke, für alle Medien gilt: gute, verlässliche, professionelle Arbeit machen, mit den Menschen ins Gespräch kommen und solche Kontakte auch pflegen. Und die regionalen Unterschiede wahrnehmen und aufgreifen, nicht alles in einen Topf werfen.