Wer nicht rastet, rostet nicht

Wiesbaum · Ernst Dittus aus Wiesbaum feiert heute seinen 90. Geburtstag, doch Ruhestand bleibt für ihn ein Fremdwort. Jeden Tag steht der rüstige Senior weiterhin an seiner Werkbank im Unternehmen seiner Söhne.

Wiesbaum. Zuhause herumsitzen und Nichts tun - für den gebürtigen Idar-Obersteiner ist das keine Option: "Ich gehe lieber arbeiten, dann vergesse ich die vielen kleinen Zipperlein, die mich in meinem Alter plagen", sagt Ernst Dittus und lacht. Im Wiesbaumer Unternehmerpark Higis ist er bei weitem der älteste Angestellte, aber bestimmt nicht der langsamste - der Versuch, mit ihm Schritt zu halten, als er die Hallen der Firma Wiesbaumer Entwicklungs Technochologien (W.E.T.) durcheilt, scheitert kläglich.
Geschäftsführer des metallverarbeitenden Unternehmens, ist René Dittus, einer der drei Söhne des Seniors, die allesamt im Familienbetrieb arbeiten. "Mein Vater wäre ohne Arbeit einfach nicht glücklich", sagt René Dittus. "Also ist er hier angestellt und versichert." Er habe ja keine andere Wahl, scherzt der 90-Jährige. "Sonst kriege ich nichts zu essen." Immer wieder blitzt der trockene Humor des Seniors im Gespräch auf, und das, obwohl er in seinem langen Leben auch finstere Zeiten durchleben musste.
Im Alter von gerade einmal 19 Jahren fand sich Dittus in der Hölle auf Erden wieder, in Stalingrad. Er geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und sah erst 1950 als Spätheimkehrer die Heimat wieder. "Dabei hatte ich noch Glück im Unglück", berichtet er. "Einen gelernten Werkzeugmacher konnten die Russen damals gut gebrauchen. Ich wurde dazu abkommandiert, russische Frauen an metallverarbeitenden Maschinen auszubilden."
Aus dieser Zeit bleibe ihm vor allem Eines für immer im Gedächtnis haften, erzählt Dittus. "Gute Menschen gibt es überall. Die Frauen hatten Mitleid mit uns jungen Kerlen und haben uns heimlich Brot zugesteckt - sonst wären wir wahrscheinlich verhungert."
Lottoglück und Nasenringe



Der Neuanfang nach seiner Rückkehr nach Deutschland ist eng mit dem Wiederaufbau seiner Heimatstadt Idar-Oberstein verbunden. "Sobald wir wieder halbwegs auf dem Damm waren, haben wir damit begonnen, im Auftrag der Bundesrepublik Häuser für uns Spätheimkehrer zu bauen. Irgendwo mussten wir ja wohnen." Arbeit findet Dittus auf Anhieb. Die Firma, in der er vor dem Weltkrieg seine Lehre absolvierte, nimmt ihn mit Kusshand wieder auf. Das Leben geht weiter, Dittus wird im Laufe der Jahre vierfacher Vater und entdeckt seine Leidenschaft fürs Lotto. "Seit der ersten Ziehung im Jahre 1956 ist mein Vater dabei", sagt Sohn Stefan. "Und hatte noch nie sechs Richtige." Doch immerhin vier Mal kreuzt Ernst Dittus fünf richtige Zahlen an. "Das waren keine riesigen Summen, die ich gewonnen habe. Aber ich konnte mir vom ersten Gewinn eine eigene Werkbank kaufen und mich 1963 selbständig machen."
Über seinen ersten Auftrag muss der Senior bis heute lachen: "Nasenringe für das ehemalige Belgisch-Kongo", sagt Dittus. 35 000 Stück habe ein Geschäftsmann damals geordert und bezahlt. "Die Nasenringe waren wohl damals schwer in Mode." Seit 1970 lebt und arbeitet Ernst Dittus in Wiesbaum - eigentlich nur zufällig. "Unser Haus in Idar-Oberstein wurde zu klein."
Erster Unternehmer vor Ort


Ein Bekannter aus der Eifel vermittelte die ehemalige Dorfschule in Wiesbaum. "Damals war ich der erste Unternehmer vor Ort", sagt Dittus. Heute hat er im Unternehmen seiner Söhne sein eigenes Reich. In seiner Werkstatt stehen ausschließlich Maschinen älteren Baujahrs - und sein Schatz: die vom ersten Lottogewinn angeschaffte Werkbank. "Funktioniert heute noch, wie am ersten Tag", sagt Dittus.
Der 90-Jährige erledigt bis heute Spezialarbeiten, die im volltechnisierten Unternehmen zu viel Zeit beanspruchen würden. "Die modernen Maschinen müssen für einen Arbeitsdurchgang programmiert werden. Ich bin mit meinen alten Geräten viel schneller", sagt Ernst Dittus.

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