Wo sich Wallach Asrael und Lama Oliver gute Nacht sagen

Nitz · Kühe, wohin das Auge blickt. Kühe und Stille. Nitz, das kleinste Dorf im Vulkaneifelkreis, verblüfft. Nicht nur weil dort mehr Kühe als Menschen leben, sondern auch weil die Nitzer ihren eigenen Lebensstil haben.

Nitz. Etwa 100 Kühe stieren den Eindringling an. Einige formieren sich zu einer Gruppe. Aufgereiht wie ein Schlachttross, der gegen die Feinde anrückt, laufen sie los. Wäre da nicht der Zaun, würde dem Besucher der Angstschweiß ausbrechen. Dies widerfährt dem Fußgänger, der an der Weide am Ortseingang von Nitz entlang spaziert. "Wahrscheinlich fühlen sie sich provoziert, weil so selten jemand hier vorbeiläuft", sagt Landwirt Jürgen Berg, dem die Tiere gehören.
Nitz, das kleinste Dorf im Vulkaneifelkreis, wirkt wie eine Insel der Ruhe. Meist ist es still. Man hört nur den Wind, die Kühe, das Gackern der Hühner oder mal das Dröhnen der Rasenmäher.
Doch plötzlich zerreißen spitze Schreie die Stille. Sie klingen, als wären sie von einer Möwe. Dieses Mal sind es nicht die Rinder. Ein Lama schreit Alarm. Jawohl: ein Lama! Gleich an die Kuhweide grenzt das Reich der beiden Alpakas, Oliver und Beppo - und jetzt haben sie den Eindringling gemeldet. Nitz ist tierreich: Auf etwa 400 Tiere kommen 43 Einwohner.
In der Ortsmitte steht ein Infokasten für Gemeindenachrichten. Nitz 1330 bis 1990 steht auf der hölzernen Tafel mit Glaskasten. Hinter der Scheibe sind sechs Reißnägel ausgestellt, sonst ist der Kasten leer. Dorfnachrichten braucht dort niemand. Warum auch? "Hier kennt jeder jeden", sagt Rosa Schneider. Die Rentnerin lebt seit ihrer Geburt im Dorf. "Die Ruhe hier ist wunderbar, aber langsam sterben wir aus. Die Kinder, die nachkommen, ziehen weg und wir werden immer älter und weniger", sagt sie. Auch ihre Kinder sind fortgezogen. "Sie können ihre Berufe hier nicht ausüben", erklärt Schneider.
Was den Nachwuchs betrifft, sind die Vierbeiner den Zweibeinern weit überlegen. Etwa 100 Kälbchen jährlich werden auf Bauer Bergs Gelände geboren. Kinder wie die jüngsten Nitzer, die fünfjährige Lilly und ihr siebenjähriger Bruder Louis, sind eine Rarität. Die Geschwister leben auf einem Einsiedlerhof in der Nähe des Dorfes. Dort und nur dort fühlt sich Britta Thora, die Mutter von Lilly und Louis, pudelwohl. "Wir leben in einer Oase der Ruhe und können tun und lassen, was wir wollen. Den Trubel von der Arbeit vergisst man hier schnell", sagt die Frau. Im Dorfkern will sie nicht wohnen. Vor dem Hof können ihre Kinder ungestört spielen. Autofahrer verirren sich nur selten dorthin. "Man darf nicht an den Zaun fassen, weil er unter Strom steht", erklärt Louis, denn direkt neben dem Garten mit den Spielgeräten schließt sich ein Teil von Jürgen Bergs Kuhweide an. Vom Traktor aus blickt der Landwirt mit dem Fernglas über die Weide. Jeden Tag tut er das, um nachzusehen, ob wieder ein Kälbchen zur Welt gekommen ist. Bei 300 Tieren bewahrt der 41-Jährige so den Überblick über die Herden.
Lilly und Louis betreten das Gelände hinter dem Zaun nicht, sie wissen um die Gefährlichkeit der Kühe, wenn diese meinen, ihren Nachwuchs verteidigen zu müssen. Da die beiden die einzigen Kinder in Nitz sind, laden sie oft Freunde aus den Nachbarorten ein.
Ins Dorf zieht es Louis donnerstagnachmittags. "Dann kommt der Eismann. Das ist das Einzige, was wir hier haben", sagt Louis. Während er in der Schule lernt, arbeitet Rosa Schneider oft in ihrem Garten. Sie liebt die Abgeschiedenheit des Dorfes und dass die Hektik draußen bleibt. Schnelles Internet gibt es nicht. Die Rentnerin möchte an keinem anderen Ort leben. Blumen, Salate, Rote Bete, Lauch, Tomaten und vieles mehr baut sie an. Ihr Mann Albert unterstützt sie. Wenn Albert Schneider pfeift, bekommt auch er Hilfe. Zunächst hört man ein Wiehern und dann kommt der Haflinger Asrael angetrabt und streckt seinen Kopf über den Gartenzaun. "Mit Tieren zu leben ist schön", sagt Rosa Schneider. Dass man in fünf Minuten durch das Dorf laufen kann, stört Rosa Schneider nicht. Etwa 20 Gebäude, die Dorfkapelle, das Gemeindehaus und eine Firma, die Brillen versendet, machen den Ort aus.
Eine Dorfkneipe oder Geschäfte sucht man vergebens. Die Nitzer haben andere Einkaufsmöglichkeiten. "Freitags kommt der Gemischtwarenhändler angefahren, mittwochs und samstags der Bäcker und Donnerstags der Metzger", sagt Schneider.
Britta Thora würde sich freuen, wenn sie ein paar Dinge im Dorf kaufen könnte. Auch, dass es für ihren Sohn keine direkte Busverbindung zur Schule gibt, nervt sie. "Das liegt daran, dass wir genau an der Kreisgrenze zwischen Mayen und dem Vulkaneifelkreis liegen. Wir schicken unseren Sohn nach Herresbach, das ist viel näher, gehört aber nicht mehr zum Kreis." Manchmal ist der Kontakt zur Außenwelt eben doch beschwerlich, besonders im Winter. Wenn es viel schneit, kommt Britta Thora mit dem Auto nicht mehr bis zum Hof. Entweder sie lässt es auf halber Strecke oder im Dorf stehen. Morgens stapft die Frau dann mit ihren Kindern mehrere Kilometer durch die Dunkelheit bis zur Ortsmitte. Dort steht auch ein Haus, auf dem in schwarzen Lettern der Schriftzug Freiwillige Feuerwehr Nitz prangt. Sie sind das Überbleibsel aus einer Zeit, als das Dorf noch eine etwa zehn Mann starke Wehr hatte. Im August dieses Jahres wurde sie aufgelöst, weil die Mitglieder notwendige Fortbildungen aus Altersgründen ablehnten. Junge Leute, die die Aufgaben übernehmen wollten, gibt es nicht.
Aber an einem Tag im Jahr erwacht Nitz aus seinem Dornröschenschlaf: "Wenn Dorffest ist, ist richtig was los. Wir haben etwa 300 Besucher", sagt Britta Thora. Das ist ungefähr so, als kämen Frankfurts Einwohner auf einen Schlag nach Trier. "Ich weiß nicht, wo die Leute alle herkommen, ich kenne viele nicht", meint Rosa Schneider. Menschen, die schon lange weggezogen sind, kommen wieder zurück. Zum Fest backt Rosa Schneider mehrere Kuchen, und auch ihre Kinder kommen in die Heimat und helfen mit. Früher der Junggesellenverein, heute der Dorferneuerungsverein verkauft Gegrilltes auf dem Festplatz im Wald. Einen Tag später ist wieder die Ruhe eingekehrt, die die Nitzer an ihrem Dorf so lieben. Seit 1970 gehört Nitz zur Verbandsgemeinde Kelberg und dem Vulkaneifelkreis (damals Kreis Daun). Der Ort ist etwas mehr als einen Quadratkilometer groß und liegt 425 Meter über dem Meeresspiegel. 43 Menschen leben dort. Die zehn kleinsten Gemeinden im Vulkaneifelkreis sind: Nitz (43 Einwohner), Ueß (58), Basberg (65), Reimerath (67), Saxler (68), Beinhausen (76), Borler (77), Sassen (80), Kirsbach (81), Gefell (90). jur Quelle: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz

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