Zwischen Glücksfall und zweitbester Lösung

Ein 258 Jahre altes Fachwerkhaus wird in Retterath abgebaut statt abgerissen. Neben dem Kreisheimatmuseum in Gerolstein soll es bis Jahresende detailgetreu wieder aufgebaut werden.

Gerolstein/Retterath. "Fachleute geraten bei dem Haus ins Schwärmen", meint Jürgen Ehlenz von der Unteren Denkmalpflegebehörde der Kreisverwaltung. Ansgar Brockmann von der Mainzer Direktion Bau- und Kunstdenkmalpflege ergänzt: "Das Haus ist ein Denkmal, weil es ursprünglich erhalten und im originären Zustand von 1750 ist." Das exakte Alter haben Experten bestimmt. Außerdem wurden das Haus, der Grundriss, jeder Balken, sogar jeder Riss in einem sogenannten verformungsgetreuen Aufmass dokumentiert. "So kann heute keiner mehr bauen"

Die Kosten dafür hat die Landesregierung übernommen. Als Partner für die Versetzung des Hauses (Translozion) konnte die Kreisverwaltung das Ehepaar Engels gewinnen. Ihnen gehören das Kreisheimatmuseum und die Lissinger Oberburg. Beides haben sie auf Vordermann gebracht. Christian Engels: "Wir haben Erfahrung, weil wir schon mehrmals Ähnliches gemacht haben. Bei einem Backhaus haben wir alleine 4000 Meter Balkenwerk ab- und wieder aufgebaut." Die Freude über die Versetzung des Retterather Hauses steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er schwärmt: "Die Türen, die barocken Wandschränke, die gesamte Innenausstattung und der tolle Dachstuhl - so kann heute keiner mehr bauen." Das Haus gehört zu einem landwirtschaftlichen Gehöft, ist seit 40 Jahren unbewohnt. Ehemals wohnten in den sechs kleinen Zimmern bis zu zehn Personen. Gemeinsam mit Ehefrau Christine wird Engels jedes Detail separat ausbauen, überarbeiten und in Gerolstein wieder aufbauen. Zuschauer sind beim Aufbau ausdrücklich erwünscht

Beim Aufbau wünschen sich die Engels ausdrücklich Zuschauer. Auch geschickte Handwerker könnten ihre Fertigkeiten einbringen. Engels: "Wer dabei sein will, kann sich ebenso melden, wie einer, der noch alte Balken oder andere Bauteile hat, die wir als Ersatz brauchen könnten." Die Bauherren werden von Ehlenz und Brockmann als "Glücksfall" beschrieben, weil sie sehr engagiert seien und das nötige Fachwissen hätten. Allerdings macht Ehlenz klar: "Wir verlieren ein Denkmal. Wenn das Haus in Gerolstein steht, ist es ein Neubau aus Altteilen. Die zweitbeste Lösung, statt es für immer zu verlieren." Das "Retterather Haus" wird für die Gerolsteiner "Museumsinsel" beim Kreisheimatmuseum und in der Nähe von der Erlöserkirche und der Villa Sarabodis eine Bereicherung sein. Von Seiten der Stadt Gerolstein fühlen sich die Engels "sehr unterstützt". Familie Engels ist unter Telefon 0162/8643945 zu erreichen. Sie bieten auf Anfrage auch Führungen in der Oberburg Lissingen aus dem Jahr 1460, den Türmen aus dem 14. Jahrhundert und den Nebengebäuden aus dem 13. Jahrhundert an.EXTRA Erst ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) vom März 2006 brachte Bewegung. Der Hauseigentümer wollte das denkmalgeschützte Haus abreißen, hatte schon etliche Anträge gestellt. Mit dem OVG-Urteil standen die Chancen plötzlich gut. Es besagt, dass bei nachgewiesener Unwirtschaftlichkeit ein geschütztes Objekt abgerissen werden darf. Jürgen Ehlenz von der Unteren Denkmalpflegebehörde bei der Kreisverwaltung: "Wir haben jahrelang den Abriss verteidigt, aber mit dem OVG-Urteil hatten wir nur die Wahl, den Abriss zu genehmigen oder Partner für die Umsetzung zu finden." Lange wird das OVG-Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben. Ehlenz geht davon aus, dass noch 2008 eine Gesetzesnovelle rechtskräftig wird, wonach sich die Situation für die Denkmalschützer wieder ändern werde. (vog)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort