Den Haag/Brüssel Was Deutschland vom Polder-Modell lernen kann
Den Haag/Brüssel · Der Besuch des niederländischen Königspaars soll den Austausch zwischen High-Tech-Unternehmen in beiden Ländern stärken.
Wenn Gert-Jan Blocks Mittag macht, dann geht der Chef des 170-Mann-Unternehmens, das sich auf optische High-Tech-Produkte spezialisiert hat, weder in eine Kantine noch in ein Restaurant. Dann setzt er sich an einen grob geschreinerten Tisch mit langen Bänken im Atrium vom Brainport Industries Campus in Eindhoven. Der Anteryon-Manager packt seine Tupperdose aus und knabbert Grünzeug zum Mittagessen, zieht sich einen Kaffee am Automaten. Am selben Tisch sitzen Studenten einer Fachhochschule. „Genau hier wollten wir hin“, erzählt Blocks. Sein Unternehmen ist erst vor wenigen Wochen mit 700 Spezialmaschinen in die grüne Fabrikhalle umgezogen.
Aber was heißt schon Fabrikhalle? Hier in den südlichen Niederlanden in Eindhoven, wo früher Philips der größte Arbeitgeber war, wo Tausende ihre Jobs verloren, als der Philips-Konzern in den 80er Jahren mit der Billigkonkurrenz aus Fernost nicht mehr mitkam, ist eine nagelneue Mega-Fabrik entstanden. Auf einer Fläche von 105 000 Quadratmetern gibt es Platz für 65 Unternehmen und Bildungseinrichtungen: Große und kleine Betriebe, Start-ups, Ableger von Weltkonzernen, Dienstleistungsunternehmen, auch Anwälte und Architekten siedeln sich gerade an. Auch die Lehre ist da: 1500 Studenten werden hier ausgebildet. Die Hürden sind bewusst flach. Studenten, die ein Praktikum brauchen, können in der Mittagspause den CEO ansprechen.
Die Niederländer nennen es „poldern“: Man kommt leicht ins Gespräch, Jung und Alt, der soziale Stand ist keine Barriere. Es liegt den Niederländern in der DNA. Über die Jahrhunderte mussten sie dem Meer Land abtrotzen. Sie „poldern“, wie der Niederländer sagt. Da müssen alle miteinander reden und an einem Strang ziehen.
Der Gedanke von Brainport Industries Campus ist, berichtet John Blankendaal, „eine große Fabrik der Zukunft zu bauen“. Ihm geht es darum, ein völlig neuartiges „Ökosystem“ für Unternehmen zu schaffen. Die Firmen teilen sich die Infrastruktur: Kantine, Logistik, Computer-Technik. Das spart zum einen Geld. „Es geht aber auch darum, untereinander Wissen auszutauschen, Innovation nicht nur einsam voranzutreiben.“
Wenn der niederländische König Willem-Alexander und Königin Maxima nächste Woche Rheinland-Pfalz und dem Saarland einen Besuch abstatten, dann ist auch eine hochkarätige Wirtschaftsdelegation dabei. Die Niederländer haben als thematischen Schwerpunkt der Reise die Digitalisierung gewählt. Mit dabei ist auch Ineke Dezentjé Hamming-Bluemink, Chefin der niederländischen Arbeitgebervereinigung.
Es gibt durchaus Parallelen zwischen den Ländern: Die Niederländer haben auch einen Strukturwandel der Industrie bewältigen müssen. Es war der Niedergang von Philips in Eindhoven zu verkraften. Das erinnert an den Transformationsprozess, den das Saarland im Bereich Kohle und Stahl durchmachen musste. In Deutschland wird die seit 2013 ausgerufene Digitalisierungsoffensive „Industrie 4.0“ genannt, in den Niederlanden heißt die Losung „smarte Industrien“.
Niederländische Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten hier bereits eng mit den Deutschen zusammen. Die Niederländer haben eine Menge zu bieten. So gibt es im Land etwa 32 Technologiezentren, vergleichbar den Mittelstandzentren in Deutschland, wo Unternehmen und Weiterbildungseinrichtungen miteinander kooperieren. Für ein Land wie die Niederlande mit 17 Millionen Einwohnern ist dies eine beachtliche Zahl.
Weltweit gibt es kaum zwei Länder, die wirtschaftlich so eng miteinander verflochten sind wie Deutschland und die Niederlande. Für die Niederlande ist Deutschland der wichtigste Handelspartner, die Niederlande ist für Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner nach China. Hanno Würzner, der im Außenministerium der Niederlande für Europa zuständig ist, sagt: „Mit dem Brexit wird für uns Deutschland noch einmal wichtiger werden, politisch und wirtschaftlich.“
Die Niederländer glauben, dass Deutschland wirtschaftlich durchaus auch vom Nachbarland lernen kann. „Angesichts der Konkurrenz aus Fernost und den USA müssen die Unternehmen bei Forschung und Entwicklung eng zusammen arbeiten“, ist Arnold Stokking von TNO, dem niederländischen Pendant der Fraunhofer Forschungsgemeinschaft, sicher. Man könne es sich nicht mehr leisten, die gleiche Innovation zweimal zu finanzieren.