Gesundheit Wenn du meinst, dein Kopf platzt

Trier · Millionen leiden an Migräne. Ein Betroffener erzählt, wie er seit über 40 Jahren mit dem oft unerträglichen Schmerz lebt. Zwei Trierer Schmerzexperten geben Tipps.

Mohamed Mansour leidet seit fast 40 Jahren. Mit 14 hatte der aus dem Libanon stammende Mann zum ersten Mal Migräne. Bis zu fünf Mal im Monat. „Es war schlimm. Ich konnte nur liegen, sonst nichts machen“, schildert der heute 53-Jährige sein Leiden. Als er 1988 nach Deutschland kam, habe er fast jeden Tag Migräne gehabt. „Schmerzmittel haben nicht geholfen.“ Ärzte konnten ihm auch nicht helfen. In seiner Verzweiflung geht er nach Berlin zu einem Heilpraktiker, bezahlt damals noch 5000 Mark für eine Behandlung. Kurzzeitig sind die unerträglichen Schmerzen weg, doch sie kommen wieder. „Das hat nichts gebracht“, sagt er heute. Immer wenn er eine Schmerzattacke hatte, und das war immer noch fünf Mal im Monat für mindestens einen Tag, musste er zu Hause bleiben, konnte nicht arbeiten gehen. Mansour war damals als Maschinist tätig. Hätte er sich trotz Schmerzen, Unwohlsein, Licht- und Geräuschempfindlichkeit zur Arbeit geschleppt, wäre es zu gefährlich geworden, wenn er in diesem Zustand Maschinen bedient hätte. Seine Kollegen konnten nicht verstehen, warum er so oft krank zu Hause blieb. „Als ich abends nach Hause ging, war noch alles klar. Mir ging es gut, ich verabschiedete mich von den Kollegen, sagte: bis morgen.“ Dann habe seine Frau auf der Arbeit anrufen müssen und mitgeteilt, dass ihr Mann nicht kommen kann, dass er krank im Bett liegt. „Die Kollegen haben dann gesagt: Wie kann das sein? Gestern war er doch noch fit, hat nicht krank ausgesehen.“

Auch sein damaliger Chef hat irgendwann kein Verständnis mehr, kündigt ihm nach elf Jahren, weil er zu oft auf der Arbeit fehlt. Mansour macht sich selbstständig. Er muss seine siebenköpfige Familie ernähren. Für seine Gesundheit war es der richtige Schritt. Die Migräne-Attacken lassen nach, fesseln ihn nicht mehr so häufig wie früher ans Bett. „Wenn es mir nicht gutgeht, kann ich heute einfacher zu Hause bleiben“, sagt er. Er sei ja jetzt sein eigener Chef. Doch noch immer stößt er mit seiner unheilbaren Krankheit auf Unverständnis, selbst bei seinen Kindern.

Wenn die ganze Familie, die meisten seiner fünf Kinder sind mittlerweile erwachsen, am Wochenende zusammensitze und sich etwa für den nächsten Tag zum Wandern verabrede, seine Frau dann aber den Kindern absagen müssen, „weil Papa krank im Bett liegt“, dann würden auch seine Söhne sagen: „Warum? Gestern ist es ihm doch noch gut gegangen.“ Trotzdem, sagt der 53-Jährige, könne er mittlerweile gut mit der Migräne leben.

Millionen Deutsche müssen mit der Erkrankung leben. Etwa zehn Prozent der Männer und bis zu 13 Prozent der Frauen litten darunter, sagt Matthias Maschke. Er ist Chefarzt der Neurologie im Trierer Brüderkrankenhaus und behandelt immer wieder Migräne-Patienten. Selbst Kinder im Grundschulalter gehörten dazu, sagt Maschke. Am häufigsten treten die Migräneanfälle zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf. Experten gehen davon aus, dass jede fünfte Frau im Laufe ihres Lebens Migräne hat. „Bestimmte genetische Voraussetzungen können Auslöser sein“, sagt Maschke.

Was die Attacken letztlich aber verursacht, das weiß man nicht so genau. Der Genuss von Rotwein, starker Hunger, Schlafmangel und die Periode bei Frauen können Ursache sein, sagt der Neurologe. Und meist komme ein Anfall plötzlich. Häufig kündige er sich durch Heißhunger auf Süßes und starke Müdigkeit an. „Bei Migräne hilft nichts anderes als starke Schmerzmittel“, sagt Lorenz Fischer. Er leitet die Schmerzambulanz im Klinikum Mutterhaus in Trier. Dort behandelt er Menschen mit Migräne und ständig wiederkehrenden Kopfschmerzen. Doch der „normale Kopfschmerz“ unterscheide sich klar von der Migräne, sagt Fischer. Sogenannte Spannungskopfschmerzen entstünden oft durch Stress, sie ließen durch Entspannung oder Bewegung zumeist nach. Häufig sei es auch nicht nötig, starke Schmerzmittel zu nehmen.

Migräne hingegen könnte durchaus auch in Entspannungsphasen auftreten, etwa die Wochenendmigräne, die Patienten bekommen, wenn der Körper runterkommt, wenn man Freizeit hat. Bewegung hilft zumeist nicht gegen Migräne. Während der Kopfschmerz in der Regel nach ein paar Stunden nachlässt, fesselt eine Migräne die Betroffenen oft mehrere Tage ans Bett. „Man kann nichts mehr machen“, erklärt Maschke.

Wer zum ersten Mal eine Migräne-Attacke habe, sollte auf jeden Fall zum Arzt, rät der Mediziner. Die meisten Hausärzte seien in der Lage, die richtige Diagnose zu stellen. Um auszuschließen, dass die Symptome etwa durch einen Hirntumor ausgelöst werden – was laut Maschke aber in den allermeisten Fällen nicht so ist –  sei eine Kernspinuntersuchung angebracht. Betroffene, die ständig vier Mal im Monat Migräne hätten, dadurch in der Schule fehlten, nicht arbeiten gehen könnten oder nicht mehr in der Lage seien, am sozialen Leben teilzunehmen, der müsse behandelt werden, sagt Fischer. Heilbar sei Migräne nicht, aber: „Man kann sie gut therapieren.“

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