"Anders heißt nicht unbedingt gerechter"

MAINZ. Einheitliche Versicherungspolicen für Frauen und Männer: Dieser Vorschlag der EU-Kommission polarisiert. Meilenstein für die Gleichberechtigung oder ideologischer Schwachsinn? Das fragte der TV den Mainzer Verbraucherschützer Michael Wortberg.

Was sagen Sie zu dem Vorstoß der EU-Kommission, die Versicherungs-Tarife für Frauen und Männer zu vereinheitlichen? Wortberg: Ich bin überrascht, dass das Thema jetzt derart aktuell geworden ist. Bisher hat es immer mal wieder entsprechende Initiativen gegeben, ohne dass sie umgesetzt worden wären. Ich bin gespannt, ob es diesmal anders sein wird, also ob die EU-Kommission sich gegen die Versicherungs-Lobby durchsetzen kann. Was spricht denn gegen die so genannten Unisex-Tarife? Wortberg: Zum Beispiel, dass die Versicherer die Systeme komplett neu berechnen müssten. Das ist ein enormer Aufwand. Und wo stehen Sie als Verbraucherschützer? Wortberg: Dass Frauen bei gleichen Beiträgen niedrigere Renten erhalten, weil ihre Lebenserwartung höher liegt, ist vom System der Kapitaldeckung her logisch. Andererseits hat die Forderung nach gleichen Tarifen etwas für sich: Frauen haben statistisch gesehen niedrigere Einkommen und zahlen damit weniger in die Rentenversicherung ein. Weil diese nach Geschlechtern getrennt kalkuliert werden, erhalten sie weniger Rente. Würde man hier beide Geschlechter zusammenführen, erhielten Frauen mehr Rente, Männer weniger. Bei den Krankenversicherungen zahlen Frauen um die 30 deutlich höhere Beiträge als gleichaltrige Männer - auch wegen des so genannten Geburtsrisikos. Die Argumentation, dass die Kosten des Kinderkriegens nicht einseitig den Frauen aufgebürdet werden dürfen, hat doch etwas für sich, oder? Wortberg: Wenn das Prinzip der Solidargemeinschaft auch bei privaten Krankenversicherungen gelten soll, ist das richtig. Die gesetzlichen Versicherungen haben bereits jetzt gleiche Tarife für beide Geschlechter. Ein Problem für die privaten Versicherungen wäre aber die Gefahr einer Vergreisung: Wenn man die gemischte Berechnung von Frauen- und Männer-Tarifen nur bei neuen Verträgen einführt, sind unter den bisherigen Versicherten irgendwann nur noch alte Leute. Das kann nicht funktionieren. Also müsste man die gemischte Berechnung auch bei den Altbeständen einführen. Und das wäre ein sehr großer Aufwand. Den Sie für nicht gerechtfertigt halten? Wortberg: In welchem Verhältnis Aufwand und Ertrag einer Einführung von Unisex-Tarifen zueinander stehen, kann ich nicht beurteilen. Es gibt unter dem Gesichtspunkt der Solidargesellschaft vieles, was dafür spricht. Aber man müsste die Entwicklung der Tarife sehr genau beobachten. Wenn es nur noch einen riesigen Topf gibt, heißt das nicht unbedingt, dass das System gerechter wird. Es kann auch neue Ungerechtigkeiten geben. Mit Michael Wortberg sprach TV-Redakteurin Inge Kreutz.

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