Arbeit muss sich lohnen

TRIER. Drei, vier Jobs gleichzeitig, bis zu 18 Stunden Arbeit am Tag und dennoch bitter arm - in den USA sind solche Schicksale alltäglich. Auch in Deutschland gibt es bedenkliche Entwicklungen. Wie "amerikanische Verhältnisse" verhindert werden können, ist umstritten. Ein Einblick in die Diskussion.

Viele Arbeitslose sind schlecht qualifiziert, und die Arbeiten, für die sie in Frage kommen, lohnen sich in Deutschland nicht, weil die Löhne zu hoch sind. Also muss die Bezahlung runter. Dieser Argumentation folgen Befürworter eines umfangreichen NIEDRIGLOHNSEKTORS - Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) etwa und SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend. Gegen solche Pläne laufen nicht nur Sozialverbände Sturm. Auch SPD-Chef Franz Müntefering etwa warnt, Deutschland könne einen Niedriglohnwettbewerb nicht gewinnen.Was einst reichte, liegt an der Pfändungsgrenze

Schon jetzt gehe die Schere von gestiegenen Lebenshaltungskosten und Einkommenseinbußen in vielen Fällen so weit auseinander, dass die Existenz bedroht sei, sagt Eva-Maria Schmitt, Schuldnerberaterin vom Diakonischen Werk in Trier. "Ich kenne Fälle, in denen Männer nach 30 Jahren beim selben Arbeitgeber 1300 Euro verdienen. Was früher dicke gereicht hat, liegt heute nahe an der Pfändungs-Untergrenze." Gut acht Prozent der Erwerbstätigen erhalten dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit zufolge derzeit 50 Prozent oder weniger des deutschen Durchschnittsverdienstes. Während das Münchner ifo-Institut sinkende Einkommen im Niedriglohnsektor vor allem wegen des zunehmenden Wettbewerbs mit Osteuropa voraussagt, sehen Sozialverbände und Gewerkschaften mit Sorge dem 1. Januar 2005 entgegen: Dann müssen Arbeitslose auch Jobs annehmen, deren Bezahlung um bis zu 30 Prozent unter den ortsüblichen Löhnen liegt. Das ziele auf eine Absenkung der Lohnuntergrenze, fürchten die Kritiker. "Durch die Reformen entstehen tendenziell mehr Arbeitsplätze mit niedrigem Einkommen", glaubt Susanne Koch vom Nürnberger IAB. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin bestätigt die Bedenken der Sozialverbände: "Es könnte tendenziell mehr Erwerbstätigen-Armut geben." Dadurch müsse allerdings nicht die Armut insgesamt zunehmen: Mit einem schlecht bezahlten Job stehe man finanziell nicht unbedingt schlechter da als vorher in der Arbeitslosigkeit. Wenn wir niedrigere Löhne brauchen, die Betroffenen dann aber davon nicht mehr leben können, müssen wir sie eben anderweitig unterstützen, fordern einige Politiker und Gewerkschafter. Solche Einkommen durch die Bundesanstalt für Arbeit aufzustocken, also einen KOMBI-LOHN einzuführen, sei "sicher eine sinnvollere Ausgabe, als Arbeitslosengeld für sonst chancenlose Arbeitnehmer zu zahlen", sagt etwa Hubertus Schmoldt von der IG Bergbau, Chemie, Energie. Doch solche Vorschläge stoßen nicht überall auf Gegenliebe. Kombi-Löhne führten zu Wettbewerbsverzerrungen für Unternehmen, die ohne staatliche Hilfe auszukommen versuchten, warnen einige von Schmoldts Gewerkschaftskollegen. Kombi-Lohn-Versuche wie das "Mainzer Modell" bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. IAB-Expertin Susanne Koch hält den Kombi-Lohn nur für bestimmte Zielgruppen und eine befristete Zeit, etwa zur Wiedereingliederung, für sinnvoll. Eine flächendeckende Einführung sei kaum finanzierbar und könnte sich negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken. Das gilt ihrer Einschätzung nach auch für gesetzliche MINDESTLÖHNE , wie sie unter anderem Baugewerkschaft und Verdi fordern. Als "Referenzgröße" schlagen sie 1500 Euro vor. Doch selbst in Gewerkschaftskeisen stößt diese Idee auf Kritik - Mindestlöhne wären ein Eingriff in die Tarifautonomie. Neun der 15 "alten" EU-Staaten haben einen Mindestlohn, in Luxemburg zum Beispiel liegt er bei 1369 Euro. Hierzulande gibt es in einigen Branchen einen "Mindeststandard", der auch für nicht tarifgebundene Betriebe gilt. 10,36 Euro erhält etwa, wer auf dem Bau Schwerstarbeit leistet. Die liegt auch vor denen, die schlecht bezahlte Jobs attraktiv machen sollen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort