Aufschwung ohne Schwung am Arbeitsmarkt

BERLIN. Pünktlich zur gestrigen Vorstellung des rot-grünen Jahreswirtschaftsberichts hellte sich auch der Erwartungshorizont deutscher Unternehmen auf. Der monatliche Geschäftsklima-Index des Münchner Ifo-Instituts kletterte überraschend noch einmal leicht nach oben.

Dem Bundeswirtschaftsminister kam die Botschaft wie gerufen. "Wir fühlen uns bestätigt", strahlte Wolfgang Clement. "Es geht wirtschaftlich aufwärts in Deutschland." Tatsächlich sind die ganz dunklen Zeiten wohl vorerst vorbei. Noch vor drei Jahren betrug das Wirtschaftswachstum mickrige 0,2 Prozent. 2003 musste Clement sogar ein leichtes Minus von 0,1 Prozent eingestehen. Doch im Vorjahr wuchs das Bruttoinlandsprodukt immerhin um 1,7 Prozent. Und nach den Prognosen des Jahreswirtschaftsberichts soll sich diese Entwicklung 2005 fortsetzen.Kapitulation vor den Fakten

Bei den veranschlagten 1,6 Prozent plus gilt es nämlich zu berücksichtigen, dass in diesem Jahr weniger Arbeitstage zur Verfügung stehen als 2004, was unterm Strich eine stärkere Belebung bedeuten würde. Der neue Chef des Sachverständigenrates, Bert Rürup, bekundete allerdings Skepsis: "Diese 1,6 Prozent sind an der oberen Grenze des Realistischen." Doch das konnte Clement nicht verdrießen. "Wenn wir am oberen Rand des Realistischen sind, sind wir realistisch." Schließlich kämpfe er gegen den "grassierenden Negativismus". Vor der düsteren Stimmung auf dem Arbeitsmarkt muss allerdings auch Clements' Optimismus kapitulieren. Trotz eines Rückgangs im Jahresverlauf werde die Zahl der Arbeitslosen im Schnitt bei 4,43 Millionen liegen, heißt es im Wirtschaftsbericht. Das sind nochmal 50 000 mehr als 2004. Und dabei ist der statistische Effekt durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe noch nicht berücksichtigt. Mit einer Erfassung der bislang nicht registrierten arbeitsfähigen Sozialhilfe-Empfänger wird die Arbeitslosigkeit laut Clement gar um 150 000 zunehmen. Schon die Januar-Daten, die die Nürnberger Bundesagentur kommende Woche bekannt geben will, dürften für einen Aufschrei sorgen. Noch bis vor kurzem war Clement davon ausgegangen, dass die Zahl unter der Fünf-Millionen-Grenze bleibt. Gestern wollte er nichts mehr ausschließen. "Die Zahl wird deutlich höher sein als alles, was wir bisher erlebt haben", baute er schon mal vor. Clement räumte ein, dass das Vermittlungsgeschäft in den Arbeitsagenturen unter der Antragsflut für das Arbeitslosengeld II gelitten hat. Eingedenk der Rekorderwerbslosigkeit ist es auch zweifelhaft, ob die vorhergesagte Belebung der Binnenkonjunktur eintritt. Nachdem die Konsumausgaben in den letzten drei Jahren fast durchweg geschrumpft waren, erwartet Clement für 2005 einen Anstieg um 0,7 Prozent. Darüber hinaus bekräftigte der Wirtschaftsminister das Ziel, bei den Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu landen. Konkrete Maßnahmen lässt der Bericht dazu aber vermissen. Gegenwärtig summieren sich die Beiträge für Rente, Gesundheit, Arbeitslosenversicherung und Pflege auf rund 42 Prozent eines Monatslohns. SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler war trotzdem voll des Lobes über den Bericht. Rot-Grün sei offensichtlich erfolgreich: "Die Miesmacher aus der Opposition können nun verstummen." Das tat die jedoch mitnichten. CDU-Wirtschaftsexperte Ronald Pofalla nannte den Jahreswirtschaftsbericht "kraftlos, ideenlos und perspektivlos". Derweil verwies CSU-Landesgruppenchef Michael Glos auf die seit drei Jahren von der Regierung versprochen Wende am Arbeitsmarkt. Heraus gekommen sei das Gegenteil. Die Arbeitslosigkeit stagniere auf "Rekordniveau".

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