Babel liegt gleich hinter der Grenze

Trier/Luxemburg · Das Großherzogtum gilt als Musterland, wenn es um das Neben- und Miteinander von Sprachen geht. Nun haben erstmals 265 Firmenchefs und Geschäftsführer mit Standort Luxemburg die aktuelle Lage bewertet. Dabei wurde deutlich: Das Deutsche ist auf dem Rückzug.

Trier/Luxemburg. Die deutschen Grenzpendler nach Luxemburg müssen sich ordentlich auf die Hinterbeine stellen, um mit ihren luxemburgischen oder französischen Konkurrenten bei der Arbeitsplatzvergabe mithalten zu können. Das hat eine Studie des Luxemburger Marktforschungsinstituts Quest im Auftrag der luxemburgischen Sprachenschule Berlitz unter 265 Firmenchefs und Geschäftsführern sowie anderen Entscheidungsträgern ergeben, die ihren Haupt- oder Nebenstandort im Großherzogtum haben.
Hintergrund ist ein langfristig angelegtes Projekt, nach dem Berlitz und die American Chamber of Commerce (Amerikanische Handelskammer in Luxemburg - Amcham) ihre Programme ausrichten wollen (siehe Extra). Demnach wird Luxemburger Arbeitnehmern eine sehr hohe Leistungsfähigkeit aufgrund ihrer Sprachkenntnisse zugeschrieben. Selbst Ausländern, die in Luxemburg leben, wird in diesem Punkt ein höherer Wettbewerbsvorteil bescheinigt als den Grenzpendlern aus dem Umland wie der Region Trier. "Sprachen sind wie die Luft zum Atmen", sagt Artur Sosna, Leiter der Luxemburger Berlitz Schule. Selbst diejenigen Arbeitnehmer, die jetzt in Luxemburg etwa bei deutschen Banken arbeiteten und mit ein oder zwei Sprachen auskämen, könnten nicht auf Dauer sicher sein, immer diese Beschäftigung zu haben. Je höher die Position, umso wichtiger seien die Sprachkenntnisse.
Dies ist insofern von großer Bedeutung, da Sprachkenntnisse ein wichtiges Einstellungskriterium im Ländchen sind - wichtiger etwa als es soziale Kompetenzen der Bewerber sind. Dabei haben sich die sprachlichen Kenntnisse der Bewerber in den vergangenen Jahren schon erheblich verbessert.
Wenig verwunderlich sind die Angaben, dass die luxemburgische Mehrsprachigkeit der Geschäftsdynamik im Großherzogtum Auftrieb gibt und aufgrund der Mehrsprachigkeit auch schneller Arbeitskräfte aus dem Ausland angeheuert werden können. Interessant dabei ist allerdings, dass dies jedoch nicht mehrheitlich als Innovationsmotor gesehen wird.
Was deutsche Grenzgänger vor allem nachdenklich stimmen wird, ist die Tatsache, dass Deutsch nur in fünf Prozent der befragten Betriebe - mehrheitlich aus dem Finanz-, Dienstleistungs, Telekommunikations- und Architektursektor - als erste Sprache gesprochen wird, in knapp zwei Dritteln der Fälle sogar erst als zweite oder dritte zusätzliche Sprache. "Je näher man zur Stadt Luxemburg kommt, umso wichtiger ist Englisch. Aber sowohl im Norden Luxemburgs als auch in vielen Branchen ist man auf Französisch angewiesen", sagt Sosna.
Immerhin - die Hälfte aller befragten Unternehmen arbeitet mit vier verschiedenen Sprachen. Hauptsprache ist in 55,8 Prozent der Fälle Französisch. Dabei hat sich das allgemeine Sprachenwirrwarr in luxemburgischen Betrieben in den vergangenen fünf Jahren vergrößert - und zwar nicht per Order von oben, sondern weil immer mehr Beschäftigte aus anderen Nationen im Großherzogtum arbeiten. So sind etwa bei dem Luxemburger Ableger von KPMG, einem Netzwerk von Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen, Mitarbeiter aus 35 Nationen tätig - bei insgesamt 900 Beschäftigten.
System hat auch Nachteile


Doch uneingeschränkt positiv wird die Sprachenlage im Ländchen wiederum auch nicht gesehen, wie ein Symposium zur Vorstellung der Umfrage-Ergebnisse und zur Diskussion der "Vor- und Nachteile der Mehrsprachigkeit in Luxemburg für die Wirtschaftswelt" in diesen Tagen zeigte. So plädierte der Rektor der Universität Luxemburg, Rolf Tarrach, für ein individuelleres Lernen von Sprachen. Denn das Luxemburger System sei zwar für einen sprachgewandten Absolventen ein Einstellungsvorteil, für andere ein unüberwindbarer Nachteil. Weitere Herausforderungen für die Luxemburger Firmenchefs sind die Wahl einer gemeinsamen Arbeitssprache und die Vermeidung von Missverständnissen aufgrund interkultureller Unterschiede. Wer bislang als "Möchtegern-Grenzgänger" noch nicht zum Zuge kommt, hat vielleicht einen kleinen Hoffnungsschimmer mit folgendem Studien-Ergebnis: Selbst wenn rund 58 Prozent der befragten Entscheidungsträger in Luxemburg keine Schwierigkeiten damit haben, geeignetes Personal zu finden, so sind diejenigen, die welches brauchen, vor allem auf der Suche nach Mitarbeitern mit Kenntnissen in Luxemburgisch (7,5 Prozent) und Deutsch (knapp fünf Prozent).
"Ich spreche Deutsch und Englisch. Französisch habe ich dazulernen müssen." "Ich spreche Englisch, Französisch und Spanisch und finde, dass mir Mehrsprachigkeit klar einen Vorteil bringt - vor allem im Umgang mit Patienten." "Ich beherrsche Englisch und Französisch sehr gut. Das ist unabdingbar. In meiner Branche besonders, weil ich sehr viel Kontakt mit Kollegen aus anderen Ländern habe." lexEine Berlitz Sprachenschule in Luxemburg gibt es erstmals bereits im Jahr 1904, als ein Trie rer das System, fremde Sprachen gezielt am Bedarfsort zu unterrichten, per Franchise-Konzept ins Großherzogtum brachte. Dort etablierte sie sich bis zum Jahr 1968. Dann wurde die Einrichtung geschlossen und erst 2007 wieder in Luxemburg eröffnet. Idee der nach eigenen Angaben größten Sprachenschule der Welt ist es, alle Sprachen zu lehren. Nachdem man jahrzehntelang auf die Vermittlung von Grammatik, Rechtschreibung und Vokabeln gesetzt hat, ist die Strategie für die Zukunft, die sogenannte größte Education Company zu werden. Dazu gehören neben der Sprachvermittlung auch der Unterricht von sozialen Kompetenzen und vor allem interkulturelles Training. So hat die luxemburgische Berlitz-Schule eigene sogenannte Cross Culture Trainer, die etwa englische Kunden des Internet-Shopping-Centers Amazon in luxemburgischer Kultur unterrichten. "In Luxemburg hat das einerseits Vorteile, weil es keine dominante luxemburgische Leitkultur gibt so wie es eine spezielle deutsche Leitkultur mit ihren Tugenden gibt. Andererseits macht es das für die Lehrer schwieriger, eindeutige Hilfen zu geben, wie man sich wann zu verhalten hat", sagt Berlitz-Schulleiter Artur Sosna. In diesem Jahr wurden bis Ende September rund 20 000 Unterrichtseinheiten von rund 600 Schülern in Luxemburg gebucht; noch immer sind die Sprachen die Renner, vor allem Französisch und Englisch. sas

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort