Chancen und Fallstricke eines barrierefreien Tourismus

Bitburg · Hotellerie und Gastronomie stehen vor dem größten Branchenwandel ihrer Geschichte. Zu Nachwuchssorgen und Qualitätsansprüchen kommen Auflagen hinzu, die den demografischen Wandel in der Bevölkerung und mehr Barrierefreiheit berücksichtigen sollen. Ein Spagat.

Bitburg. Noch sind sie Inseln im Zusammenspiel von Hotels, Gasthöfen, Pensionen und Kneipen, die speziell barrierefrei ausgerichteten Häuser. Denn die selbstverständliche Integration von Menschen mit und ohne Behinderung bedeutet für den Fremdenverkehr nicht nur ein Umdenken in den Köpfen, sondern auch mehr Auflagen und höhere Investitionen. Davon ist Gereon Haumann überzeugt. Denn der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Rheinland-Pfalz war bis Oktober selbst Chef eines Hotels in Horath (Kreis Bernkastel-Wittlich). Das Familien-Hotel hat alle Bereiche in und um das Haus für Rollstuhlfahrer und Kinderwagen zugänglich gemacht, es gibt auch spezielle barrierefreie Zimmer, ein mobiles Schwimmbad und mehrere rollstuhltaugliche Fahrzeuge. Die Belohnung vom Deutschen Tourismusverband: die Auszeichnung im Wettbewerb "Willkommen im Urlaub - Familienzeit ohne Barrieren" auf Bundesebene mit Gold.
Rund drei Millionen Euro wurden schon vor gut zehn Jahren in den behindertengerechten Neu- und Ausbau vom Trägerverein des Hotels investiert. "Ein Mehr an Barrierefreiheit bedingt ein Mehr an Investitionen", weiß Haumann. An solchen und weiteren Ansprüchen würden jedoch in Zukunft viele Hotel- und Gastronomiebetriebe zugrunde gehen (siehe Extra). Denn: "In den kommenden fünf Jahren steht in 60 Prozent unserer Betriebe ein Nachfolgerwechsel an. Doch in nur zehn Prozent von ihnen steht bereits ein Nachfolger aus den eigenen Reihen zur Verfügung", gibt Haumann zu bedenken.
Und für die Nachfolger seien die Auflagen ohnehin schon groß. Gebe nämlich ein Gastronom seinen Betrieb ab, ende der Bestandsschutz für Brandsicherung und Bauverordnung. Heißt: Wer neuer Gastwirt wird, muss erst mal tief ins Portemonnaie greifen, um einen Betrieb auf den neuesten Standard zu bringen. "Das Wirtshaussterben wird sich fortsetzen", ist der Dehoga-Chef sicher. Würden zusätzlich neue Standards festgeschrieben, etwa für feste Quoten von barrierefreien Zimmern, könnte sich dieser Trend verschärfen. "Ich warne vor einer Überforderung der Betriebe, was die Vorschriften angeht", sagt Gereon Haumann.
Ohnehin geht es ihm eher um die Barrieren in den Köpfen seiner Dehoga-Mitglieder. Als umsatzstarke Zielgruppe, "die uns die Betten in der Sauren-Gurken-Zeit füllen", seien Menschen mit Behinderungen jeglicher Art ohnehin nicht geeignet. Auch wenn bundesweite Studien touristische Umsätze allein durch behinderte Gäste in Höhe von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr ausmachen und das finanzielle Potenzial barrierefreier Angebote auf zusätzliche 4,8 Milliarden Euro geschätzt wird, so liegen die notwendigen Investitionen dafür um ein Vielfaches höher.
Einerseits den Kopf für das Thema zu öffnen und gleichzeitig die Betriebe zu sensibilisieren, darauf hat es das rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerium mit seiner Tourismusstrategie 2015 abgesehen. "Wir wollen keine Schwerpunktregion für behinderte Gäste in Deutschland werden, sondern dass das Thema mit Selbstverständlichkeit betrachtet wird", forderte Staatssekretär Uwe Hüser beim jüngsten Tourismustag des Landes in Bitburg. "Und da stehen wir erst am Anfang." Was zeigt, dass durch die Rheinland-Pfalz Touristik GmbH erst rund 100 Betriebe für besondere Barrierefreiheit zertifiziert sind, bei der Servicequalität sind es fast 700.
Zusätzlicher Komfort



Wobei sich Politik, Touristiker, Gastronomen und Hoteliers einig darüber sind, dass alle Gäste von Barrierefreiheit profitieren. "Für zehn Prozent der Menschen ist es ein Muss, für 30 Prozent eine Notwendigkeit und für 60 Prozent zusätzlicher Komfort", sagt Werner Klöckner. Er ist nicht nur Vorsitzender des Tourismus- und Heilbäderverbandes im Land, sondern auch Bürgermeister der Verbandsgemeinde (VG) Daun. Dort sowie in den Verbandsgemeinden Ulmen und Manderscheid gibt es mit dem Projekt Gesundland Vulkaneifel genau diesen Ansatz - Verwaltung, Fremdenverkehr, Gesundheitsdienstleister und Bevölkerung mit ins Boot zu nehmen, "um mit dem Tourismus den demografischen Wandel zu gestalten", sagt Klöckner. Denn vom Tourismus profitiere auch die eigene Bevölkerung, vom barrierefreien Tourismus auch die älter werdende Landbevölkerung in der Eifel. Eine Vision, das gibt der Bürgermeister gern zu, "aber eine mit Potenzial". Für den Dehoga-Chef stehen dagegen die konkreten Zahlen im Vordergrund. "Barrierefreier Tourismus ist eine Nische", sagt Gereon Haumann. Um dies zu ändern, fordert er nicht nur spezielle Fördermöglichkeiten durch das Land, sondern auch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie. Denn während die sieben Prozent für die Hotellerie seit drei Jahren gelten, sind Gastronomie-Leistungen davon unberührt. Haumann: "Mit einem Mehr an Umsatz in der Tasche könnten viele im Gastgewerbe auch in die Barrierefreiheit investieren."Extra

Gastgewerbe der Region Trier: Die aktuelle Lage im Gastgewerbe der Region Trier zeigt nach der jüngsten Branchenbefragung durch die Industrie- und Handelskammer (IHK): Rund 80 Prozent der befragten Betriebe sind mit der Geschäftslage in den vergangenen Sommermonaten zufrieden. Knapp zwei Drittel der Befragten schätzen, dass ihr Umsatz gestiegen (36 Prozent) oder zumindest gleich geblieben (29 Prozent) ist. Mit einer Auslastungsquote von 60,5 Prozent liegt die Region Trier drei Prozentpunkte über dem Landesschnitt. Mit Blick auf das Winterhalbjahr 2013/2014 ist der Optimismus allerdings sehr verhalten. Ein Viertel der Befragten rechnet mit Umsatzeinbußen. "Und das wirkt sich auch auf die Investitionsbereitschaft aus", sagt Andrea Frede, Tourismusexpertin der IHK Trier. "Die Mehrheit der befragten Unternehmen will in der kommenden Saison entweder weniger oder überhaupt keine Investitionen tätigen." Weiteres Problemfeld für Hotellerie und Gastronomie: In der Region Trier hat jedes dritte Unternehmen Probleme, offene Stellen längerfristig zu besetzen. Immerhin 43 Prozent der Betriebe sehen als "Lösung" dafür an, die Kapazitäten zurückzufahren, 58 Prozent wollen ihren vorhandenen Mitarbeitern Mehrarbeit aufbrummen. sas

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