Clement umwirbt die Genossen

BERLIN. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement hatte einen schweren Stand. Vor der SPD-Fraktion musste er die Reformpläne der Bundesregierung verteidigen.

Der Protest will einfach nicht verstummen. Drei von vier Stammwählern, klagte der niedersächsische SPD-Politiker Wolfgang Jüttner, würden das Wort Reform nur noch als Bedrohung empfinden. Er habe jedenfalls den Eindruck, dass in der Partei "tatsächlich die Hütte brennt". Ausgerechnet Wolfgang Clement suchte sich gestern als Feuerlöscher zu betätigen. Auf Geheiß des Kanzlers war der Wirtschaftsminister vor der SPD-Bundestagsfraktion zur Erläuterung seiner Reformideen erschienen. Bereits in der vergangenen Woche musste Kabinettskollegin Ulla Schmidt den verstörten Genossen ihre gesundheitspolitischen Pläne schmackhaft machen. Dabei hatte die Ministerin noch vergleichsweise leichtes Spiel. Schließlich sind die Sozialdemokraten in erster Linie über den geplanten Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik erbost. So hatte Wolfgang Clement einen schweren Stand. Wohl auch deshalb gab er sich erst einmal betont gelassen. Unruhe in der SPD? "Da sind keine Bedenkenträger. Das war früher so. Heute unterhalten wir uns sachlich", scherzte der Lieblingsminister des Kanzlers. Nur die Fülle der mitgebrachten Papiere deutete auf den Ernst der Lage hin. Allein sein Redemanuskript bestand aus 25 Textseiten. Hinzu kamen noch umfängliche Tischvorlagen für die Abgeordneten. Danach sollen die angepeilten Reformen in drei "Umsetzungspakete" verschnürt werden. Das erste Maßnahmenbündel enthält erleichterte Kündigungsmöglichkeiten für Kleinbetriebe, die befristet Beschäftigte einstellen. Zugleich soll sich die so genannte Sozialauswahl bei Kündigungen künftig stärker an den Interessen des Unternehmens ausrichten. Darüber hinaus will Clement einen gesetzlichen Abfindungsanspruch einführen, der dann zum Zuge kommt, wenn der Betroffene auf die Kündigungsschutzklage verzichtet.Kritiker bleiben skeptisch

"Niemand, der heute Kündigungsschutz hat, wird ihn verlieren", betonte der Minister. Als weitere Maßnahme wird im Handwerksbereich der Zwang zum Meisterbrief gelockert. Das zweite Clement-Paket sieht neben Strukturveränderungen in der Bundesanstalt für Arbeit die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum so genannten Arbeitslosengeld II vor. Die Grundleistung ist mit der Höhe der Sozialhilfe identisch. Das eigene Vermögen soll dabei weiter angerechnet werden. Gleichwohl wird versichert, dass der Aufbau einer "angemessenen Alterssicherung" berücksichtigt sei. Kritiker hatten immer wieder bemängelt, dass gerade ältere Arbeitslose wegen verschärfter Vermögensanrechnungen ins soziale Abseits geraten. Das dritte Paket beinhaltet schließlich Maßnahmen zur finanziellen Stärkung des Mittelstandes. Bei diesem Pensum war es kein Wunder, dass Clements Vortrag hinter verschlossener Tür fast eine Stunde dauerte. Danach gab es erst einmal viel Applaus. Mancher Teilnehmer zeigte sich "verblüfft" über die sachorientierte Marschrichtung des Ministers. "Der hat richtig für seine Reform geworben." Die Kritiker blieben auch weiterhin skeptisch. In der Diskussion - es gab immerhin rund zwei Dutzend Wortmeldungen - skizzierte beispielsweise der Sprecher des Arbeitnehmerflügels, Ottmar Schreiner, die Unvereinbarkeit zwischen Binnenkonjunktur und dem mit der Reform verbundenen Kaufkraftentzug.

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