"Da bleibe ich Beton"

TRIER. Die deutschen Gewerkschaften haben es in diesen Tagen nicht leicht: Arbeitgeber und Politiker attackieren sie als Reform-Verhinderer, und die Mitgliederzahlen sinken. Im TV -Interview sagt Michael Sommer, Chef des mächtigen Deutschen Gewerkschaftsbundes, wie das Tal der Tränen überwunden werden soll.

Herr Sommer, gehören Sie als DGB-Chef einer vom Aussterben bedrohten Spezies, den Gewerkschaften, an?Sommer: Zugegeben: Wir haben nach wie vor noch Probleme mit der Mitglieder-Entwicklung. Die war im vergangenen Jahr nicht befriedigend. Dafür gibt es objektive Gründe, wie die Massenarbeitslosigkeit. Und es gibt Gründe, die bei uns selbst liegen. Wir hatten zuletzt nicht immer die beste Performance. Aber Aussterben werden wir nicht - im Gegenteil: Ich habe eben Bischof Marx gesagt, die Gewerkschaften werden jetzt 100 Jahre alt, aber die 2000 Jahre der Katholischen Kirche schaffen wir auch noch. Im übrigen haben wir einen deutlichen Zuwachs bei der Aufnahme junger Kolleginnen und Kollegen.Die Jobs sind unsicherer denn je, die sozialen Einschnitte, die Arbeitnehmern zugemutet werden, tiefer als je zuvor. Dennoch laufen den Gewerkschaften die Mitglieder davon. Warum? Sommer : Ich habe noch nie an die These geglaubt: Den Leuten muss es nur schlecht genug gehen, dann kommen sie in die Gewerkschaften. Es gilt aber auch, dass der DGB attraktiver werden muss und interessanter für neue Berufe.Etwas konkreter, bitte Sommer: Die Minijobs nehmen drastisch zu. Reguläre Arbeitsplätze werden zerschlagen. Wir sollten deutlich machen, dass wir uns als Anwalt der Leute empfinden, die heute mit Minijobs abgespeist werden, die nicht mehr über existenzsichernde Einkommen verfügen, die zwei, drei, vier Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Und wir müssen attraktivere Angebote für hoch qualifizierte und kaufmännische Beschäftigte machen. Einen dritten Akzent würde ich setzen in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In Rheinland-Pfalz etwa unterstützt der DGB das Land bei der Schaffung von Ganztagseinrichtungen.Im Zuge der Reform-Debatte werden die Gewerkschaften insbesondere von führenden FDP- und CDU-Politikern als Blockierer hingestellt. Selbst die SPD hat sie als Verweigerer gebrandmarkt. Was antworten Sie auf derartige Vorwürfe? Sommer : Zweierlei: Sie stimmen und sie stimmen nicht. Das wird sie jetzt möglicherweise überraschen. Aber ich bin stolz darauf, dass wir in der Frage der Tarifautonomie eben nicht nachgegeben haben. Das war ich Beton, da bleibe ich Beton. Ich habe immer erklärt, der Sommer unterschreibt keinen Freifahrtschein, dass tarifliche Niveaus flächendeckend abgesenkt werden. Andererseits ist es in Mode gekommen, die Gewerkschaften in eine Ecke zu stellen, weil man uns als gesellschaftlich gestaltende Kraft nicht will.Was ist für Sie das Schlimmste an den von der Politik verabschiedeten Reformpaketen? Sommer: Für das Fragwürdigste halte ich die neuen Zumutbarkeitsregelungen für Langzeitarbeitslose. Meine große Befürchtung ist, dass Billigjobs mittelfristig tarifierte Bereiche erreichen: Verkäuferinnen, Busfahrer, Krankenschwestern und viele andere. Wenn dort die Arbeitgeber die Löhne nach allen Regeln der Kunst drücken wollen, werden wir uns wehren. Das ist ein Akt von Hilfe und Notwehr gegen das Unterlaufen von Tariflöhnen.Wirtschaftsexperten sehen in den hohen deutschen Lohnkosten das Haupthindernis für die Schaffung neuer Arbeitsplätze Sommer: Wer meint, er könne mit tschechischem Lohnniveau die Probleme der deutschen Wirtschaft lösen, irrt. Ich hatte neulich darüber ein Gespräch mit meinem tschechischen Kollegen. Der sagte: Bei uns heißt es: Wir müssen runter auf slowakisches Lohnniveau. Übrigens: Auch Staatsknete für Großunternehmen löst die Probleme nicht. Wir brauchen eine aktive Wirtschaftspolitik und Unternehmer, die wieder etwas wagen und bereit sind, zu investieren. Und wir brauchen eine wirkliche Kraftanstrengung im Bereich Bildung und Qualifikation.Das sagt auch Bundeskanzler Gerhard Schröder Sommer: In diesem Punkt hat er Recht. Ich hoffe nur, dass er Innovation und Bildung nicht nur auf die Industriepolitik bezieht. Zur Innovation gehört nämlich auch, dass man die sozialen Rechte und das Wissen und Können der Arbeitnehmer ernst nimmt und sie als innovative Kraft ansieht.An welchen gemeinsamen Strategien arbeiten die Gewerkschaften? Sommer: Wir beschäftigen uns konkret mit zwei Fragen. Erstens: Welche Form von sozialer Innovation braucht dieses Land zur Flankierung der technisch-bildungspolitischen Innovation? Und wir werden uns intensiv um die Bürgerversicherung kümmern, unserer Ansicht nach ein Zukunftsthema. Die Menschen wollen keine Kopfpauschalen. Ich vermute auch, dass das Thema Tarifautonomie noch einmal hochkochen wird.Sie sind vor unserem Gespräch mit dem Trierer Bischof zusammengetroffen. Haben Sie Reinhard Marx für die kürzlich von ihm mit vorgestellte "Impulsschrift" der Bischofskonferenz gratuliert, in dem unter anderem mehr Eigenverantwortung gefordert wird? Sommer: Ich habe Marx gesagt, dass ich die Kritik an dem Papier aufrecht erhalte. Und dass ich den Eindruck habe, dass die Bischöfe mit der Schrift versucht haben, ihren Frieden mit der Agenda 2010 zu machen. Ich mache diesen Frieden nicht. Aber Marx und ich haben auch vereinbart, den Diskurs weiterzuführen.Was bedeutet das konkret? Sommer: Ich habe den Trierer Bischof zu einer DGB-Veranstaltung in Berlin zu Fragen sozialer Gerechtigkeit eingeladen. Er hat zugesagt. Die Gewerkschaften sind bei aller Kritik gut beraten, auch zuzuhören und die eigene Position an der ein oder anderen Stelle zu überprüfen. Das war heute in Trier ein guter Beginn, keine Eintagsfliege: Wir werden die Gespräche institutionalisieren.Augenblicklich gibt es ein großes Chaos bei den Betriebsrenten: Einige Konzerne streichen sie, andere führen sie ein oder planen eine Erhöhung. Erste Politiker fordern eine gesetzliche Verankerung. Was ist Ihre Meinung? Sommer: Ich kann den Unternehmen nur raten, daran festzuhalten. Wenn es einmal finanziell klemmt, sollte mit den Betriebsräten und Gewerkschaften über zeitliche Streckungen oder ähnliches gesprochen werden. Die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts, wann in die betriebliche Altersvorsorge eingegriffen werden kann, ist eindeutig. Die sollten sich die Unternehmen auch mal anschauen. Zudem sagt uns die Politik andauernd: Die gesetzliche Rente ist nicht mehr alles, wir brauchen ergänzende Systeme, auch betriebliche. Da kann die Politik jetzt nicht nur zuschauen, sondern muss deutlich machen, dass sie das nicht akzeptiert. Wir Gewerkschaften müssen alles dafür tun, dass Systeme wie die Betriebsrenten auch tarifvertraglich abgesichert werden. Ich glaube übrigens, dass bei einer gerichtlichen Überprüfung der Betriebsrenten-Streichung festgestellt wird: So manche war nicht wirtschaftlich notwendig, sondern diente der Pflege des Aktien-Kurses und zur Vorbereitung von Unternehmensübernahmen.Mit Michael Sommer sprachen Rolf Seydewitz und Heribert Waschbüsch.

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