Demografischer Wandel als Wachstumsrisiko

Luxemburg · Luxemburgs Wirtschaft baut seit Jahrzehnten auf die Arbeitskraft von Ausländern. Eine Abhängigkeit, die zunehmend das Sozialsystem des Großherzogtums ins Wanken bringen könnte. Denn für immer mehr Wachstum braucht es immer mehr Arbeitskräfte - die es in Luxemburg selbst so nicht gibt.

Luxemburg. Zunächst kamen die Italiener, um der Luxemburger Stahlindustrie auf die Sprünge zu helfen; dann wurden Tausende Portugiesen ins Land geholt, um aus dem Bauernstaat einen florierenden Industrie-Standort zu machen. Doch während sich die ausländischen Arbeitskräfte des 19. und 20. Jahrhunderts im Großherzogtum niederließen und deren Nachkommen inzwischen selbst größtenteils die luxemburgische Staatsangehörigkeit besitzen, gibt es das Phänomen der Grenzgänger erst seit rund 50 Jahren. Die kommen inzwischen zu rund 155 000 jeden Morgen aus Deutschland (28 000 allein aus der Region Trier), Frankreich und Belgien über die Grenze, um das Land nach getaner Arbeit wieder zu verlassen.
Luxemburgs Wirtschaft stagniert


Und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Dank des "gegenseitigen Gebens und Nehmens", wie Lothar Kuntz, bis 2010 Koordinator der Interregionalen Arbeitsmarktbeobachtungsstelle der Großregion (IBA), bei einer Veranstaltung der Deutsch-Luxemburgischen Wirtschaftsinitiative (DLWI) und der Luxemburger Handelskammer (Chambre de Commerce) zum Arbeitsmarkt festhält, ist Luxemburgs Wirtschaft in den vergangenen 17 Jahren im Schnitt um rund vier Prozent jährlich gewachsen.
Profitiert haben davon Luxemburger wie Grenzgänger gleichermaßen (siehe Extra I). Nun stagniert die Wirtschaft des Großherzogtums bei nur einem Prozent Wachstum. Doch die Unternehmen stellen weiter Personal ein - bevorzugt aus dem angrenzenden Ausland, weil sie dort das Personal finden, das sie brauchen.
"Wir suchen ständig Leute für die Produktion. Aber aus Luxemburg kommt niemand, so dass wir Beschäftigte haben, die jeden Tag selbst aus Nancy kommen und zwei Stunden Fahrzeit für einen Weg brauchen", sagt Eva Wüllner, Europa-Personaldirektorin des schwedischen Stahlhallenbauers Lindab mit 250 Mitarbeitern und Sitz in Diekirch. "Luxemburg bleibt ein extrem attraktiver Standort", bestätigt Kuntz, nun Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung, Arbeitsmarkt und grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Saarbrücken.
Vor allem bis 2030 würden sich der demografische Wandel und der Fachkräftemangel zeigen. Dann, wenn im Saarland die Bevölkerung um 14 Prozent und in Rheinland-Pfalz um fünf Prozent zurückgehen soll. "Insbesondere für mittelständische Unternehmen ist Personalpolitik entscheidend für den Unternehmenserfolg", sagt Joachim Schemel, Generalbevollmächtigter der Deutschen Botschaft in Luxemburg.
Doch woher sollen die Arbeitskräfte kommen, zumal im Großherzogtum in den kommenden zehn Jahren doppelt so viele Beschäftigte in Rente (siehe Extra II) gehen werden als bisher? In Luxemburg sind zwar rund 15 000 Menschen arbeitslos, eine Art Arbeitsamt gibt es jedoch erst seit den 1970er Jahren, das System der Arbeitsvermittlung oder gar Berufsberatung ist nicht mit Deutschland vergleichbar oder nicht mal existent.
Potenzial bei Frauen


Nun wird versucht, Jugendliche nach ihrem Schulabschluss mit Praktikum und Kurz-Ausbildungs-Diplom an der Trierer Industrie- und Handelskammer fit für die Praxis zu machen. Auch bei den Frauen, deren Erwerbsquote bei rund 55 Prozent liegt (Deutschland 66 Prozent), sieht man in Luxemburg noch Potenzial. "Wir haben mehr als 200 Teilzeitmodelle", wirbt Thierry Schuman, Vorstand der Luxemburger Bank BGL BNP Parisbas - allerdings ohne Rechtsanspruch wie in Deutschland. Die Masse an künftig benötigten Arbeitskräften wird so wohl auch kaum zu erreichen sein.
"Luxemburgs Wirtschaft ist im Umbruch", weiß der auf Top Manager und auf Spitzenkräfte spezialisierte Head Hunter Matthias Gerstlauer. Der Finanzplatz baue langsam ab, die neue Wachstumsbranche Informationstechnologie brauche hochqualifizierte Fachleute. "Aber die gibt es nicht", stellt er resigniert fest. "Also müssen sich die Unternehmen und der Luxemburger Staat dringend fragen: Was tun wir, damit Arbeitskräfte zu uns kommen? Was bieten wir jemandem in Luxemburg, der auch nach London, Barcelona oder München gehen könnte?" Gerstlauer ist sich sicher: "Sonst schafft die Luxemburger Wirtschaft die Umstellung nicht."Extra

Das Luxemburger Rentensystem sieht noch den klassischen Generationenvertrag vor. Alle Berufstätigen zahlen in die Rentenkasse, die die aktuellen Renten bezahlt - auch die der ehemaligen Grenzgänger. Noch funktioniert das System. Die Einnahmen übersteigen die Ausgaben. Und die Reserven sind so groß, dass die Renten während 3,8 Jahren garantiert wären, auch wenn niemand mehr Beiträge zahlen würde. In Deutschland schätzen die Experten die Reserven gerade mal auf sechs Wochen. An diesem Umlageverfahren will die Regierung festhalten. Ebenso an der gleichteiligen Beitragserhebung von je acht Prozent des Bruttolohns für Versicherte, Betrieb und Staat gleichermaßen. Doch das System blieb bislang stabil, weil die Zahl der Arbeitsstellen explodierte. Allein von 1995 bis 2010 nahm die Stellenzahl in Luxemburg von 215 500 auf 357 800 zu. Doch in den kommenden zehn Jahren wird die Baby-Boomer-Generation in Rente gehen, so dass sich die Zahl der Rentner verdoppeln wird. Luxemburgs Sozialminister Mars di Bartolomeo hat folgende Rechnung aufgemacht: Gibt es in Luxemburg keine Rentenreform, bräuchte das Großherzogtum Luxemburg bis zum Jahr 2050 eine Million Beschäftigte (heute: etwa 390 000 Arbeitsplätze). sasExtra

In Luxemburg hat jeder Einwohner inzwischen ein Einkommen von 30 000 Euro im Jahr. In Rheinland-Pfalz liegt es bei 18 600 Euro; Tendenz steigend. Im Eifelkreis Bitburg-Prüm und im Kreis Trier-Saarburg legte das Einkommen von 2009 auf 2010 um mehr als 25 Prozent zu, wie die statistischen Ämter und das Institut Universitaire International Luxembourg (IUIL) ermittelt haben. sas

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