Den Blick für alle Richtungen öffnen

Trier · Rund 800 Schwerbehinderte in der Region Trier sind arbeitslos. Dabei sind viele von ihnen gut ausgebildet und zu Leistungen bereit, die man ihnen nicht zutraut. Die Arbeitsagentur wirbt nun um eine stärkere Integration dieser Fachkräfte.

Das Bild der Schwerbehinderten in der Gesellschaft ist oft einseitig: an den Rollstuhl gefesselt, ohne Ausbildung, leistungsgemindert. Dabei gibt es viele verschiedene Grade von Behinderung: vom Diabeteskranken über den studierten Akademiker im Rollstuhl bis hin zu Unfallopfern, Schwerhörigen und psychisch Kranken. "Es sind komplett falsche Bilder in der Welt", moniert Heidrun Schulz, Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit.

Bei einem Besuch der Trierer Agentur informierte sie sich über Musterbeispiele der Integration von Schwerbehinderten wie etwa die Trierer Firma "getlogics" (der TV berichtete). "Es ist leider keine Normalität, Schwerbehinderte in den Betrieben zu haben", sagt sie. Denn: Über die Hälfte der 6825 beeinträchtigten, arbeitslosen Rheinland-Pfälzer ist älter als 50 Jahre und damit ohne große Chancen auf dem Arbeitsmarkt; die Arbeitslosenquote aller Schwerbehinderten liegt in der Region Trier mit 6,2 Prozent über dem landesweiten Anteil - und das bei einer verbesserten Konjunkturlage. Etwa die Hälfte der 800 Schwerbehinderten in der Region Trier ist länger als ein Jahr arbeitslos und Hartz-IV-Empfänger.

Dabei scheint es gerade in der Region wichtig für die Betriebe, sich jede geeignete Arbeitskraft zu sichern. "Angesichts des Mangels an Fachkräften gilt es jetzt, den Blick für alle Richtungen zu öffnen", sagt Wolfram Leibe, Vorsitzender der Geschäftsführung der Trierer Arbeitsagentur. Viele in dieser zu vermittelnden Gruppe hätten eine gute Ausbildung und Berufserfahrung.

Denn ein Großteil der Behinderung entstehe während des Berufslebens mit zunehmendem Alter. "Entweder entscheide ich mich jetzt für einen Schwerbehinderten mit Leistungsminderung, oder ich habe bald niemanden mehr aus dem Topf der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte", prognostiziert der Trie-rer Agentur-Chef. Noch frage der Arbeitsmarkt nicht so sehr nach den Schwächeren, "aber das kommt noch". In jedem Fall sei die Einstellung von Schwerbehinderten ein "Gewinnerspiel". Leibe: "Die Arbeitskraft ist motiviert und loyal. Volkswirtschaftlich lohnt sich eine Anstellung in jedem Fall."

Für die Betriebe ist die Einstellung von Schwerbehinderten laut Aussage der Arbeitsagentur ohne großes Risiko. Denn schon im Vorfeld treffen die Agentur-Vermittler eine Auswahl, der Betrieb hat drei Monate Zeit, sich einen Kandidaten ohne Vertrag und mit Bezahlung durch die Arbeitsbehörde anzuschauen, und bei einer Einstellung gibt es maximal 36 Monate eine Förderung durch die Agentur, inklusive Qualifizierungen und Ausstattung.

"Was machbar ist und sein muss, um einen Schwerbehinderten einzustellen, wird gemacht", sagt Wolfram Leibe und wirbt gerade bei kleinen Betrieben für die besondere Klientel: "Dort sind die Prozesse flexibel. Die persönliche Bindung an den Chef ist gegeben, die Integration eher möglich. Nun fehlt es nur noch an dem Willen und der Sensibilität." Dabei geht die Agentur selbst mit gutem Beispiel voran - und das ohne Förderung: 14 Prozent ihrer Beschäftigten haben eine Schwerbehinderung.

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Laut Gesetz sind alle Betriebe über 20 Mitarbeiter dazu verpflichtet, dass fünf Prozent ihrer Beschäftigten eine Schwerbehinderung aufweisen. Bundesweit ist derzeit eine Quote von 4,3 Prozent erreicht, landesweit liegt sie bei 3,8 Prozent. In Rheinland-Pfalz müssten 5600 Betriebe ihr Soll erfüllen, 1600 haben dies bislang noch nicht getan. Folglich müssen diese Betriebe Ausgleichszahlungen leisten, derzeit zwischen 105 und 260 Euro je Monat und je einzustellendem Schwerbehinderten. Allein für den Trierer Arbeitsagentur-Bezirk sind so im Jahr 2009 rund 2,2 Millionen Euro gezahlt worden. Das Geld ist für die Vermittlung von Schwerbehinderten durch 15 Experten der Trierer Agentur ausgegeben worden. Insgesamt fließen in der Region jedes Jahr 21 Millionen Euro für Qualifizierungen, Schreibtische und Arbeitsmaterial von Schwerbehinderten. (sas)

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