Regionale Wirtschaft Fachkräfte, Fachkräfte, Fachkräfte

Wo drückt die Wirtschaft der Schuh? Wer könnte das besser wissen als die VTU: Neben Bürokratieabbau steht die Suche nach Mitarbeitern über allem.

Vertreten in der Vereinigung Trierer Unternehmer mehr als 500 Unternehmer: VTU-Vorsitzender Frank Natus und VTU-Geschäftsführerin Sabine Plate-Betz.

Vertreten in der Vereinigung Trierer Unternehmer mehr als 500 Unternehmer: VTU-Vorsitzender Frank Natus und VTU-Geschäftsführerin Sabine Plate-Betz.

Foto: TV/Heribert Waschbüsch

Die Vereinigung Trierer Unternehmer (VTU) vertritt weit mehr als 550 Unternehmer aus allen Branchen: Industrie, Großhandel, Handwerk, Gesundheitswesen und Dienstleistungssektor. Zum Jahresbeginn gehört der Neujahrsempfang zu den wichtigsten Terminen für die regionale Wirtschaft. Warum er in diesem Jahr etwas später stattfindet und wie derzeit die Situation in der regionalen Wirtschaft ist, besprachen der VTU-Vorsitzende Frank Natus und VTU-Geschäftsführerin Sabine Plate-Betz mit den TV-Redakteuren Sabine Schwadorf und Heribert Waschbüsch.

Wenn wir auf die vergangenen zwei Jahre zurückblicken, die Pandemie und nun der entsetzliche Ukraine-Krieg, wie geht es den VTU-Mitgliedsbetrieben? Wie ist die Stimmungslage?

Frank Natus: Das ist sehr unterschiedlich, weil wir bei der VTU breit aufgestellt sind. Wir haben in allen Branchen Mitgliedsunternehmen, und da gibt es sowohl Corona-Verlierer als auch Corona-Gewinner. In der ersten Phase vor drei Jahren waren natürlich die Gastronomie, das Hotelgewerbe, der Einzelhandel und die Veranstaltungsbranche ganz besonders betroffen. Ansonsten haben die Betriebe, die Reserven hatten, die Zeit genutzt und vielleicht renoviert oder erweitert. Wer keine Reserven hatte, hat Probleme bekommen. Bis die Corona-Hilfen dann irgendwann beschlossen und ausgezahlt wurden, hat es doch einige Zeit gedauert. Für manche Unternehmen war das zu lang.

Haben Sie das Gefühl, dass viele Unternehmer ihr Geschäft aufgeben mussten?

Natus: Wenn man durch die Trierer Innenstadt geht, sieht man, dass einige Firmen aufgeben mussten, aber es sind auch andere dafür nachgekommen.

Sabine Plate-Betz: Wir können nicht konkret sagen, in welcher Branche wie viele Unternehmen schließen mussten. Aber es wurde auch kaum eine Branche verschont. Zudem haben sich selbst Unternehmen, die schon sehr lange am Markt und gut aufgestellt waren, zur Schließung entschlossen, weil die Rahmenbedingungen immer schlechter wurden und sie das Gefühl hatten, von der Politik keine Unterstützung zu erhalten.

Wie ist die Entwicklung denn bei der VTU? Haben Sie anhand der Mitgliederzahlen die Krisen gespürt?

Natus: Nein. Wir haben sogar mehr Mitglieder, trotz Corona, auch wenn einige kleine Betriebe ausgeschieden sind. Wir haben aber jedes Jahr neue Unternehmen hinzugewonnen und überwiegend waren das größere Betriebe.

Sie haben es eben angesprochen, die Unternehmen sind unzufrieden mit der Politik. Wie zufrieden sind Sie denn mit der Politik, von den Corona-Hilfen bis hin zu den Energie-Hilfen in der jetzigen Phase?

Natus: Es ist sehr viel Geld ausgegeben worden, und sowohl die Corona-Hilfen als auch die Energieentlastungspakete sind wirksam. Allerdings wird nach dem Gießkannen-Prinzip ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Bedürfnisse verteilt, und das ist nicht zielorientiert. Ich befürchte, dass es mit der Gaspreis- und Strompreisbremse ebenso kommen wird. Damit versündigen wir uns an der nächsten Generation, die die Schulden, die wir jetzt machen, zurückzahlen muss. Der Politik fehlt leider oftmals das betriebswirtschaftliche Verständnis.

Plate-Betz: Das zeigt sich auch in anderen Bereichen. Gesetze werden mit heißer Nadel gestrickt und sind in der Praxis dann nicht umsetzbar, wie etwa die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die immer wieder verschoben werden musste, weil die Unternehmen, die Krankenkassen und die Ärzte nicht entsprechend aufgestellt waren. Die Politik ist häufig realitätsfern, und das ärgert und belastet die Unternehmen. Zudem wird die Bürokratie immer mehr aufgebläht, und die Rechtsprechung der obersten Gerichte trägt auch ihren Teil zur Belastung der Unternehmen bei. Es ist befremdlich und absurd, dass wir uns damit beschäftigen, ob den Mitarbeitern mitgeteilt werden muss, wie viel Urlaubstage sie noch haben. Und nicht weit von uns entfernt kämpfen Menschen in der Ukraine um ihr Leben .

Was würden Sie sich denn wünschen?

Natus: Wir wünschen uns, dass politische Entscheidungen zielorientierter und differenzierter getroffen werden und deren Folgen bedacht werden. Das gilt zum Beispiel für die Erstattung der Stromrechnung, unabhängig von der Bedürftigkeit der Begünstigten oder für die Rente mit 63. Diese ist volkswirtschaftlich nicht nachzuvollziehen, weil sie generell für alle Mitarbeiter und damit auch für leistungsfähige Arbeitnehmer den Anreiz schafft, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, obwohl sie in den Betrieben dringend gebraucht werden. Diese Rente dürfte daher nur für die Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden, die beispielsweise nach 40 Jahren körperlich schwerer Arbeit tatsächlich nicht bis 67 arbeiten können.

Plate-Betz: Besonders ärgerlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Politik die Rente mit 63 verabschiedet und anschließend behauptet, die Arbeitgeber wollten die älteren Mitarbeiter aus dem Betrieb drängen. So wird die Verantwortung für eine vollkommen unsinnige arbeitsmarktpolitische Entscheidung den Betrieben angelastet, die alles tun, um jeden Mitarbeiter zu halten, damit ihre Betriebe laufen.

Und auf der anderen Seite beklagen Sie einen großen Fachkräftemangel ...

Natus: Das stimmt. Der Fachkräftemangel ist ein großes Problem. Und wir müssen dringend etwas tun. Wir sind in der Region besonders betroffen, weil rund 40.000 hiesige Arbeitskräfte nach Luxemburg pendeln. Zudem gibt es keine Einwanderungspolitik für qualifizierte Fachkräfte und Pflegekräfte, die diesen Namen auch verdient. Außerdem sind die bürokratischen Hürden im Zusammenhang mit der Einstellung von Fachkräften aus dem Ausland enorm. Es dauert rund ein halbes Jahr, damit die Menschen eine Arbeitserlaubnis bekommen, obwohl sie bestens in ihren Ländern ausgebildet wurden und alles wunderbar vorbereitet ist. Wir reden seit 20 Jahren über Bürokratieabbau und machen das Gegenteil. Das gilt für alle Bereiche der Verwaltung. Selbst wenn nur eine Lagerhalle errichtet werden soll, wartet man ein Jahr auf die Baugenehmigung.

Wie wollen Sie das lösen?

Natus: Für jedes neue Gesetz müssten zwei andere Gesetze abgeschafft werden.

Fühlen Sie sich gegenüber anderen Regionen und Ländern benachteiligt?

Natus: Wir stehen in einem harten internationalen Wettbewerb mit Ländern, für die Umweltschutz, Menschenrechte und der Schutz des geistigen Eigentums nicht die Rolle spielen wie bei uns. Auch wenn das unseren Wertvorstellungen widerspricht, sind dies unter anderen die Gründe, warum Länder wie China oder der Mittlere Osten schnellere Entscheidungen treffen und sich Ressourcen in Afrika sichern oder die Seidenstraße bauen können, und mit diesen Ländern stehen wir im Wettbewerb.

Noch mal kurz zum Thema Fachkräftemangel. Es gibt ja Potenziale. Wie gelingt die Integration von Flüchtlingen, etwa aus der Ukraine, in den Unternehmen?

Natus: Die Betriebe tragen ihren Anteil zur Integration bei. Wir haben zum Beispiel im Unternehmen eine Sprachtrainerin eingestellt, die sich vorwiegend um osteuropäische Mitarbeiter  aus Russland, aus der Ukraine und aus Kasachstan kümmert. Es lohnt sich, diese Mitarbeiter zu unterstützen. Aber auch hier ist die Bürokratie für die Unternehmen hinderlich. Um ukrainische Mitarbeiter durch die Bundesagentur für Arbeit vermittelt zu bekommen, müssen sie erst einen Sprachkurs bei der Arbeitsagentur durchlaufen haben. Das aber dauert, weil die Agentur keine Sprachlehrer findet. Dabei könnten wir sie trainieren. Das sind Hürden, die die Betriebe immer wieder nehmen müssen.

Plate-Betz: Wir dürfen auch nicht glauben, dass die ukrainischen Flüchtlinge unseren Fachkräftemangel beheben. Bei vielen Flüchtlingen handelt es sich um Frauen mit Kindern oder um Rentner. Und natürlich wollen sie auch zurück in ihr Land, wenn der Krieg vorüber ist. Dennoch ist es wichtig, ihnen nun zu helfen. Aber es löst nicht unser Problem.
Natus: Der Fachkräftemangel ist sicher für die Industrieunternehmen das dringendste Problem, das bei uns in der Region durch die Grenznähe zu Luxemburg noch verstärkt wird. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Unternehmen anfangen, sich die Mitarbeiter untereinander abzuwerben.

Plate-Betz: Besonders bitter ist, dass bereits an allen Stellschrauben gedreht wird, um die Arbeitsplätze so attraktiv wie möglich zu machen. Selbst da, wo es schwierig ist, wird Homeoffice angeboten. In vielen Betrieben gibt es zudem bereits die Vier-Tage-Woche mit angepasster Arbeitszeit, sodass Mitarbeiter ein längeres Wochenende oder mehr Freizeit haben. Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld, Angebote für Fitness-Studios oder Massagen im Betrieb, alle Möglichkeiten werden aufgeboten. Trotzdem ist es schwer, neue Mitarbeiter zu finden. Und auch hier gilt: Alle Branchen sind betroffen.

Wie weit könnten denn Digitalisierung und Automatisierung dem entgegenwirken?

Natus: Wir arbeiten in der Industrie seit Jahren daran, Abläufe zu automatisieren. Auch in der Verwaltung wird die Digitalisierung vorangetrieben. Dennoch sind wir beim Thema Digitalisierung noch meilenweit von einem guten Zustand entfernt. Das ist ein riesengroßes Potenzial, das wir noch heben müssen. Dabei wäre ein Bürokratieabbau sehr hilfreich, aber wir sind mit dem Lieferkettengesetz, den Nachhaltigkeitsberichten und vielen anderen Anforderungen an die Unternehmen genau gegenteilig unterwegs.

Plate-Betz: Auch die Digitalisierung wird zudem das Problem des Fachkräftemangels nicht komplett lösen. Man hat immer gemeint, mit zunehmender Industrialisierung würden die Arbeitsplätze wegfallen, und es gäbe in den Unternehmen nur noch Roboter und vollautomatische Maschinen. Tatsächlich fallen auch viele Arbeitsplätze durch die Digitalisierung weg, aber auf der anderen Seite entstehen immer wieder neue Arbeitsplätze, weil die Digitalisierung weiterentwickelt und gesteuert werden muss.

Digitalisierung, Zuwanderung, Renteneintrittsalter, das sind einige Stellschrauben. Wie sieht es mit Auslagerung von Arbeit aus. Werkbänke in China, Russland, Ukraine? All das ist nicht mehr ganz so sicher ...

Natus: Corona hat uns vor Augen geführt, wie vernetzt und fragil die Welt ist und wie schnell alles umkippen und stillstehen kann. Daher versuchen die Akteure in den westlichen Industrienationen, zum Beispiel die Fertigung von Halbleitern, bei der man sich auf Taiwan verlassen hat, wieder nach Deutschland zu verlegen. Intel baut in Magdeburg für Milliarden eine Chip-Fabrik. Wir selber überprüfen unsere Lieferketten nach Asien. Zudem gibt es auch in den USA rückläufige Tendenzen, die ja schon teilweise deindustrialisiert waren. Aber das geht alles nicht so schnell und verschärft den Fachkräftemangel noch mehr, sodass wir noch mehr qualifizierte Einwanderung nach Deutschland benötigen. Wenn wir unseren Wohlstand in Deutschland halten wollen, benötigen wir jährlich 500.000 bis 600.000 Menschen mehr.

Je größer also der wirtschaftliche Erfolg in Deutschland wird, umso größer wird das Problem, Mitarbeiter zu finden?

Natus: Ja, das beißt sich. Momentan haben wir aber auch eine schleichende Deindustrialisierung. BASF investiert jetzt in Shanghai, statt in Ludwigshafen, viele Investoren gehen in die USA, weil es dort unbürokratischer ist und vor allem, weil die Energiekosten deutlich niedriger sind. Für uns ist und bleibt der Fachkräftemangel das Thema Nummer eins. Hierfür muss die Digitalisierung beschleunigt werden, aber auch die Verkehrsinfrastruktur.

Die Verkehrsinfrastruktur ist ein gutes Stichwort. Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist für die rheinland-pfälzische Wirtschaft ein guter „Bekannter“ ...

Natus: Herr Wissing ist vor Jahren als Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz angetreten mit dem klaren Ziel, Baurecht für den A-1-Lückenschluss in seiner Amtszeit zu schaffen. Das hat ja nicht geklappt. Ich glaube, dass er zwar alles tut, was in seiner Macht steht, dass er aber durch regionalpolitische Maßnahmen blockiert wird.
Plate-Betz: Und er hat weitere Baustellen in ganz Deutschland, zum Beispiel die zahlreichen maroden Brücken ...

Natus: Wir haben in Deutschland einen riesigen Investitionsstau, dazu der Fachkräftemangel in den Behörden. Darüber hinaus darf bei aller Notwendigkeit für die Energiewende und die Umweltthemen nicht jede Brücke und Straße blockiert werden. Am Lückenschluss sind wir seit 50 Jahren dran. Und auch hier kommen wir wieder zum Thema Fachkräfte. Je schlechter unsere Verkehrsanbindung ist, ob Straße oder Zug, umso schwieriger ist es, Fachkräfte und Unternehmen für die Region zu gewinnen.

Ist die Region Trier zu weit von Berlin entfernt? Sieht man dort nicht die Notwendigkeiten der Region? Werden wir vergessen?

Natus: Wir brauchen für eine gute Entwicklung Umwelt, Soziales und Wirtschaft. In diesen Bereichen müssen wir ausgewogen miteinander arbeiten. Für die Wirtschaft sind in den letzten Jahren die Umwelt und sozialen Themen zu sehr in den Vordergrund und die Wirtschaft in den Hintergrund gerückt. Das gilt für Deutschland wie für die Region. Die sozialen Themen und die Umwelt-Themen können wir uns aber nur leisten, wenn die Wirtschaft funktioniert.

Jetzt haben wir über so viele Herausforderungen, Krisen und Probleme geredet. Aber wenn Sie eine positive Botschaft aussenden wollen, damit Fachkräfte in die Region kommen, was zeichnet denn unsere Region aus?

Natus: Wir leben mit großer Überzeugung in einer der schönsten Regionen Deutschlands und sagen das auch unseren Kunden und Fachkräften. Trier ist eine wunderschöne Stadt, Weltkulturerbe, wer hat so etwas schon zu bieten? Außerdem leben wir in einer Weinregion mit geselligen Menschen, die Landschaft in Eifel und Hunsrück ist großartig, und die Nähe zu Luxemburg, Belgien und Frankreich in diesem Vierländereck ist etwas Besonderes.

Plate-Betz: Und wir haben tolle Firmen: international bekannte Arbeitgeber, Marktführer, erfolgreiche Mittelständler, Handwerker und Hidden Champions. Das ist ein großes unternehmerisches Potenzial. Wir sind also sehr, sehr attraktiv.

Zum Schluss noch eine Frage: Die VTU feiert normalerweise am zweiten Freitag im Januar eines jeden Jahres mit rund 600 Teilnehmern ihren Neujahrsempfang, der zu den wichtigsten Terminen der regionalen Wirtschaft zählt. Warum ist er in diesem Jahr in den Mai verlegt worden?

Natus: Wir hatten den Neujahrsempfang für den vergangenen Freitag geplant, aber viele VTU-Mitglieder haben einer Großveranstaltung im Winter mit großer Sorge entgegengesehen, auch wenn die Corona-Pandemie eigentlich überwunden ist. Wir wollten diesen Bedenken Rechnung tragen und verbinden unseren Empfang im Mai nun auch mit einer großen Jubiläumsfeier zum 60-jährigen Bestehen unserer am 1. April 1963 gegründeten Vereinigung. Das wird dann ein richtig tolles Fest.

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