Deutsche Lokomotive wieder unter Dampf

Berlin · "Es geht mir gut", heißt ein bekannter Song von Marius Müller-Westernhagen. Deutschland kann ihn bald kollektiv anstimmen. Das Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute sagt nach mageren 0,4 Prozent in diesem Jahr ein kräftiges Wachstum von 1,8 Prozent voraus - mit entsprechend positiven Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche.

Berlin. Das Gutachten dürfte auch die laufenden Gespräche zur Regierungsbildung beeinflussen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
Warum wächst Deutschlands Wirtschaft wieder so stark?
Global gibt es 2014 voraussichtlich ein Wachstum von 2,8 Prozent nach 2,1 Prozent in diesem Jahr. Der Anstieg geht nicht auf die großen Schwellenländer China oder Indien zurück, deren Zuwachs auf hohem Niveau stagniert, sondern auf die USA, Japan und den Euro-Raum. In diesen "alten" Ökonomien ist es gelungen, die Währungsturbulenzen und Haushaltskrisen wieder zu beruhigen. Gestern erst in Washington mit der endgültigen Einigung über die Schuldenobergrenze. Wirtschaft und Verbraucher in Deutschland danken es mit neuem Optimismus. Es wird kräftig investiert werden, um plus sieben Prozent. Das anhaltend niedrige Zinsniveau hilft. Das große Damoklesschwert über allem: Die Eurokrise könnte zurückkommen.

Wird sich die gute Konjunktur auf den Arbeitsmarkt auswirken?
Gewaltig. Zwar sinkt die Arbeitslosenquote von derzeit 6,9 Prozent nur auf 6,8 Prozent. Die Gesamtzahl der Beschäftigten aber wird auf den Rekordwert von 42,1 Millionen steigen, 260 000 mehr als in diesem Jahr. Und schon das war ein Rekordjahr. All diese Leute haben Geld in der Tasche, das sie ausgeben - gut für den Konsum und die Binnenkonjunktur. Die neuen Angestellten und Arbeiter kommen übrigens zu 43 Prozent aus dem Ausland, vor allem aus den Krisenländern Südeuropas und aus Osteuropa. Die Debatte um den Abbau der (deutschen) Langzeitarbeitslosigkeit dürfte deshalb wieder an Fahrt gewinnen. Warum gelingt es nicht, diese Menschen in die freien Jobs zu bringen? Die Gutachter bestritten, dass die neuen Tätigkeiten alle prekär seien. Der Anteil atypischer Beschäftigter sei seit 2005 stabil.

Was haben die Bürger von der Entwicklung?
Relativ sichere Arbeitsplätze. Mehr Einkommen ist damit noch nicht automatisch verbunden; das hängt von den Tarifabschlüssen ab. Nach einem durchschnittlichen tariflichen Lohnplus von 2,4 Prozent in diesem Jahr rechnen die Gutachter mit 2,6 Prozent in 2014. Das liegt über der erwarteten Inflationsrate von 1,9 Prozent; die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben also brutto mehr. Die Gutachter lehnen erstmals Mindestlöhne nicht mehr generell ab. Man sehe das inzwischen "differenzierter". Die existierenden Mindestlohnregelungen für einzelne Branchen hätten "keine gravierenden negativen Folgen" für die Beschäftigung gehabt. Allerdings, wenn der Mindestlohn allgemein und für alle 8,50 Euro betrage, wie die SPD fordert, werde es besonders in Ostdeutschland "zu einem beträchtlichen Stellenabbau kommen", warnen die Experten.

Wie wirkt sich die Prognose auf die Koalitionsgespräche aus?
Sie eröffnet Spielräume für Kompromisse. Denn die Steuereinnahmen werden sprudeln; 2014 soll es einen gesamtstaatlichen Haushaltsüberschuss von acht Milliarden Euro geben, der bis 2018 sogar auf 53 Milliarden ansteigt. Ganz ohne Steuererhöhungen, vor denen die Gutachter warnten, könnten also etliche Wünsche erfüllt werden. Aber, so die Institute, längst nicht alle. Ein großer Teil des Überschusses solle in den Schuldenabbau gesteckt werden. Was übrig bleibe, 33 Milliarden Euro im Jahr 2018, solle man für den Abbau der Kalten Progression verwenden, damit die Arbeitnehmer von Lohnerhöhungen mehr netto behalten. Der Rest müsse für Investitionen in Bildung und Infrastruktur ausgegeben werden. Weiteren Spielraum gebe es, wenn man Subventionen abbaue, darunter die Steuerfreiheit für Sonntagszuschläge oder die Hotel-Steuer. Wenn das so umgesetzt werde, könne Deutschland von einem Schuldenstand von derzeit 80 Prozent bis 2018 auf 61 Prozent herunterkommen - und damit die Vorgaben des Maastricht-Vertrages wieder einhalten.

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