Dubiose Finanzpraktiken

Berlin · Für die Opposition ist es der größte Steuerskandal der bundesdeutschen Geschichte - es geht um Milliarden und um dubiose Finanzgeschäfte, bei denen sich Banken und Privatpersonen zu Lasten des Staates eine goldene Nase verdienten. Die Ursachen und Folgen der sogenannten Cum-Ex-Geschäfte sollen in einem Untersuchungsausschuss des Bundestages geklärt werden.

Berlin. "Wir erwarten uns Aufklärung, wer die Verantwortung für die Milliardenverluste trägt", sagt Linksfraktionschef Dietmar Bartsch. Für den Finanzexperten der Grünen, Gerhard Schick, stellt sich konkret die Frage: "Warum haben die Experten der Bankenaufsicht nicht verstanden, was da passiert?" Beide Oppositionsparteien haben deshalb einen neuen Untersuchungsausschuss initiiert. Nicht unbedingt zur Freude von Union und SPD, die sich damit zufrieden geben würden, dass bereits Gerichte und Staatsanwaltschaften an der Sache dran sind. Dennoch ließ man die parlamentarische Minderheit am Ende gewähren. Der Untersuchungsgegenstand in den kommenden Wochen und Monaten ist, vereinfacht gesagt, ein gigantisches Steuerschlupfloch, das es gut betuchten Anlegern zwischen 2002 und 2012 ermöglichte, nicht nur keine Steuern zu zahlen, sondern sogar noch welche wiederzubekommen. Cum-Ex bedeutet "mit" oder "ohne". Durch komplizierte Konstruktionen beim Aktienhandel mit oder ohne Dividendenanspruch konnten sich Nutzer die Kapitalertragssteuer gleich mehrfach vom Staat erstatten lassen - zum Schaden der Steuerzahler. Schätzungsweise zwölf Milliarden Euro seien so dem Fiskus entzogen worden. "Dafür hätten während dieser zehn Jahre rund 24.000 zusätzliche Lehrer beschäftigt werden können", rechnet Schick vor. Neu sind die Vorwürfe nicht. Schon im Jahr 2002, also noch zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung, hatte das Bundefinanzministerium erste Hinweise auf die dubiose Praxis erhalten. Doch erst fünf Jahre später, damals amtierte auch schon eine große Koalition, kam es zu Korrekturen, die zunächst jedoch alles eher verschlimmbesserten. Fortan wurde nur inländischen Banken ein Riegel gegen diese Geschäfte vorgeschoben. Darunter waren übrigens auch Landesbanken, also öffentliche Institute, die bis dato den Steuerzahlern geschadet hatten. Umso stärker ging der Missbrauch jedoch vom Ausland aus weiter. Erst 2012 kam es zu einem wirksamen Gesetz gegen diese Praxis.
Nach bisherigen Erkenntnissen sind mindestens 129 Banken und Finanzdienstleister in die zwielichtigen Vorgänge verstrickt. Eine Bank wurde von der Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin kürzlich deshalb sogar geschlossen. Zuletzt war die Hamburger Privatbank Warburg ins Visier der Justiz geraten. Einzelne Geldinstitute mussten bereits unrechtrechtmäßig erstattete Steuern zurückzahlen. Der Umfang beläuft sich nach Angaben von Schick auf mehrere hundert Millionen Euro.
Nach dem Willen der Opposition soll sich der Untersuchungsausschuss vorrangig um die politische Bewertung der Praxis kümmern. Auf der Zeugenliste stehen deshalb auch die Namen aller Bundesfinanzmister seit 1998, angefangen von Oskar Lafontaine (damals SPD) und Hans Eichel über Peer Steinbrück (beide SPD) bis zum Amtsinhaber Wolfgang Schäuble (CDU). Von ihnen erhofft man sich Aufklärung darüber, "ob fahrlässige Untätigkeit, Inkompetenz oder sogar Kumpanei hinter den Fehlleistungen öffentlicher Stellen steht", wie der grüne Finanzexperte Schick betont. "Der Staat muss die Bürger vor solchen Betrügereien schützen", sagt Schick.

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