Einbußen für Kunden und Versicherer

Berlin · Lebensversicherer und ihre Eigentümer werden stärker an die Kandare genommen, um Zusagen zu erfüllen. Aber auch Altkunden müssen sich auf Einbußen einstellen, damit Reserven unter allen Versicherten gerecht verteilt werden können.

Berlin. Wer finanziell mehr verspricht als er halten kann, gerät leicht in die Klemme. Aktuell geht das vielen Lebensversicherungen so. Wegen der Niedrigzinsphase laufen sie Gefahr, ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nicht einhalten zu können. Die Bundesregierung will nun mit einem Maßnahmenpaket vorsorgen, das Unternehmen wie Verbraucher im Fall des Falles zur Kasse bitten soll. Das heikle Vorhaben ist schon länger in Arbeit, wurde wohlweislich aber erst nach der Europawahl vorgestellt.

Bittere Pille


"Das ist eine bittere Pille für die Versicherungsnehmer", lautete gestern der erste Kommentar von Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten. "Aber", fuhr der Verbandsfunktionär gegenüber unserer Zeitung fort, "sicher auch kein Zuckerschlecken für die Unternehmen". Die Lage: 1,4 Prozent beträgt zurzeit der durchschnittliche Ertrag von Bundesanleihen, aber 3,2 Prozent haben die Lebensversicherer ihren Kunden im Durchschnitt als "Garantiezins" versprochen. Die Lücke halten sie nicht lange durch, vor allem nicht alle gleich lang.
Laut einem "Stresstest" der Bundesbank könnte ein Drittel der Unternehmen, die insgesamt 43 Prozent der Beitragssumme repräsentieren, in Solvenzprobleme geraten. Zu Deutsch: Pleite gehen. Gesetzlichen Handlungsbedarf zum Schutz von Firmen wie Kunden hatte auch der Internationale Währungsfonds gesehen. Rund 88 Millionen Lebensversicherungsverträge gibt es in Deutschland, etwa sechs Millionen kommen jährlich zur Auszahlung. Es geht um gewaltige Summen.
Die Bundesregierung nennt ihren Vorschlag ein "ausbalanciertes Paket". Die Versicherungen sollen Risikoüberschüsse künftig wie Kapitalerträge zu 90 Prozent an die Versicherten weitergeben und nicht mehr nur zu 75 Prozent. Bei Versicherungen, die nicht alle Garantien erfüllen können, sollen zudem die Aktionäre auf Dividenden verzichten. Auch sollen die Versicherungen einer verschärfen Aufsicht unterstellt werden. Auf die Anbieterseite entfällt auch der Vorschlag, Abschlusskosten bei Neuverträgen in den Bilanzen geringer anzusetzen. Die Versicherungsmakler geraten so unter größeren Kostendruck.
Der Branchenverband GDV kritisierte gegenüber unserer Zeitung, dass eine generelle Ausschüttungssperre "völlig über das Ziel hinausschießt", weil sie die Versicherungsunternehmen von den Kapitalmärkten abschneide. Eingriffe in die Bilanzierung der Vertriebs- und Abschlusskosten bedeuteten zudem eine einseitige Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Versicherungswirtschaft.
Die Verbraucher wiederum sollen bei der Verteilung der sogenannten Bewertungsreserven schlechter gestellt werden. Die auf Staatsanleihen entfallenden Gewinne werden nur weitergereicht, wenn die Garantieleistungen für alle Versicherten nicht gefährdet sind. Das Windhundprinzip - wer zuerst kommt, hat noch etwas von den Gewinnen, die aus den hohen Zinsen für alte Staatsanleihen resultieren, die anderen nicht - wäre damit gestoppt. Außerdem soll der Höchstrechnungszins, also jener Zins, den die Unternehmen als Garantiezins anbieten dürfen, von 1,75 auf 1,25 Prozent gesenkt werden. Freilich, attraktiv sind Lebensversicherungen ohnehin nicht mehr. Die Zahl der Neuabschlüsse ist im ersten Quartal des Jahres um fast 15 Prozent eingebrochen.
Die Verbände beider Seiten, Versicherte wie Versicherungen, beschwerten sich einhellig über den Zeitdruck. Der Gesetzesentwurf wurde erst gestern an sie verschickt. Bis Freitag sollen sie schon Stellung genommen haben. Die Regierung will das Vorhaben noch vor der Sommerpause im Bundestag verabschieden, "im Windschatten der Fußball-WM", wie Versicherten-Sprecher Kleinlein beklagte.

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