Eine Versicherung gegen Naturkatastrophen

Berlin · Gert G. Wagner legt großen Wert darauf, nicht Präsident, sondern Vorsitzender des Vorstandes des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) genannt zu werden. Ein Gleicher unter Gleichen.

Berlin. Mit dem 58-jährigen Volkswirtschaftler, der das renommierte Berliner Institut seit Februar leitet, sprach Werner Kolhoff über die ökonomischen Folgen der Japan-Katastrophe und die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Deutschland.Japan zeigt, dass auch eine große, starke Volkswirtschaft durch eine Naturkatastrophe ins Wanken geraten kann. Kann das Deutschland auch passieren?Gert G. Wagner: Im Prinzip ja. Zwar kann man einen Tsunami hier praktisch ausschließen, ein Erdbeben am Rheingraben aber schon nicht mehr. Im 13. Jahrhundert wurde zum Beispiel Basel bei einem starken Erdbeben weitgehend zerstört. So etwas kann jederzeit wieder passieren. Und am Rheingraben gibt es viele Atomkraftwerke. Flutlagen haben wir praktisch jedes Jahr. Können Volkswirtschaften irgendeine Vorsorge treffen? Gert G. Wagner: Nicht gegen die Naturkatastrophe an sich, wohl aber gegen die Folgen. Wie?Gert G. Wagner: Man kann sich zum Beispiel ganz einfach dadurch schützen, dass man in bestimmten Gebieten nicht baut, beziehungsweise das Bauen dort teuer macht. Oder dass man sturm-, flut- und erdbebensicher baut. Und man kann ökonomisch vorsorgen, durch risikodifferenzierte Versicherungen. In den Prämien sind ja praktisch die möglichen Schadensfolgen schon vorweggenommen. Der Effekt besteht nun darin, dass jeder ein Interesse haben wird, seine Prämien zu mindern, indem er eben nicht in gefährdeten Gebieten baut oder andere Vorsorgemaßnahmen trifft. Da viele das machen werden, minimiert das die Schäden, wenn dann ein Ereignis wirklich eintritt. Volkswirtschaftlich ist das also vernünftig. Wir in Deutschland können uns eine derartige Vorsorge leisten. Daher sollten wir diesen Weg jetzt auch gehen. Das wird freiwillig aber kaum funktionieren. Die meisten setzen darauf, dass ihnen im Katastrophenfall die Allgemeinheit hilft, der Staat, und den Schaden ersetzt.Gert G. Wagner: Deshalb plädiere ich für eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden. Schon durch den Klimawandel werden wir, ganz ohne Erdbeben, eine Zunahme teurer Schadensereignisse haben. Das ist ja jetzt schon spürbar und messbar. Deshalb bin ich dafür, dass der Abschluss einer Elementarschadensversicherung für private und gewerbliche Objekte obligatorisch gemacht wird - im Katastrophenfall werden alle dankbar sein, dass es das gibt. Wir haben in Deutschland vor über 100 Jahren die Sozialversicherung erfunden - jetzt sollten wir die systematische Vorsorge gegen Elementarschäden als Innovation weltweit zum Vorbild machen. Sie haben am DIW viel über die Reichtumsverteilung in Deutschland geforscht. Wie hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland entwickelt?Gert G. Wagner: Sie ist in den letzten zehn Jahren deutlich größer geworden. Ein Auslöser waren die diversen Steuerreformen seit dem Jahr 1998. Die rot-grüne Regierung hat den damaligen ökonomischen Heilslehren geglaubt und gedacht, das werde zu einem wundersamen Wirtschaftswachstum führen. Das hat nur sehr bedingt gestimmt. Die relative Schwäche der Gewerkschaften hat zudem dazu geführt, dass die Löhne nur sehr mäßig gestiegen sind. Die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse und der Jobs mit sehr geringem Einkommen hat stark zugenommen. Im Ergebnis sind in den vergangenen zehn Jahren die verfügbaren Einkommen des ärmsten Zehntels der Bevölkerung real um gut zehn Prozent zurückgegangen, während das reichste Zehntel reale Einkommenszuwächse von fast 20 Prozent erzielen konnte. Oskar Lafontaine hat das immer kritisiert. Hatte er recht?Gert G. Wagner: Ja. Ich füge als persönliche Anmerkung an: leider. Was muss geschehen, um das wieder rückgängig zu machen?Gert G. Wagner: Langsam. Die eigentliche Frage lautet: Wie viel Ungleichheit wollen wir haben? Diese Frage kann man wissenschaftlich nicht entscheiden. Verschiedene Befunde weisen aber auf negative Effekte bei steigender Ungleichheit hin, sei es im Bereich der Gesundheit, der Bildung oder der Kriminalität. Wenn man etwas ändern will, ist es meiner persönlichen Meinung nach am besten die Einkommenssteuer im oberen Einkommensbereich wieder anzuheben, eine Vermögenssteuer einzuführen und die Erbschafts- und Schenkungssteuer zu reformieren.Gert G. Wagner ist Vorstandsvorsitzender des DIW Berlin, Lehrstuhlinhaber für Empirische Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin sowie Max Planck Fellow am MPI für Bildungsforschung (Berlin). Er ist zudem auch Vorsitzender der Zensuskommission der Bundesregierung.

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