Elefant mit Freunden und Feinden

BRÜSSEL. Konjunkturmotor oder Jobkiller? Die EU-Dienstleistungsrichtlinie sorgt für emotionale Diskussionen. Was genau sieht der Plan vor? Wie argumentieren die Befürworter, wie die Gegner? Und welchen Weg nimmt der Entwurf nun? Der TV bringt Licht ins Dunkel.

Worum geht‘s bei der geplanten Dienstleistungsrichtlinie? Die EU-Kommission möchte mit ihrem Vorstoß vor allem das Herkunftslandprinzip einführen: Firmen aus anderen EU-Ländern wie Polen oder Portugal unterlägen dann ausschließlich den Rechtsvorschriften ihres Heimatlandes, wenn sie Dienstleistungen in Deutschland anbieten würden. Zudem soll die Richtlinie grenzüberschreitende Gründungen von Dienstleistungs-Unternehmen erleichtern. Was versprechen sich die Initiatoren von dieser so genannten Dienstleistungsfreiheit? Fielen die bürokratischen Hürden zwischen den EU-Staaten, würden erheblich mehr Dienstleistungen angeboten, argumentieren die Befürworter der Richtlinie. Sie versprechen Verbrauchern eine größere Auswahl, bessere Qualität und niedrigere Preise. Die Liberalisierung kurbele das Wirtschaftswachstum an, sagt etwa Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD). Er rechnet mit 70 000 neuen Arbeitsplätzen allein in Deutschland. Warum gibt es Widerstand gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie? Kritiker befürchten, dass Billig-Anbieter vor allem aus den osteuropäischen EU-Ländern deutsche Dienstleister in den Ruin treiben, wenn sie hier nach den Bestimmungen ihrer Heimatländer arbeiten dürfen, während Einheimische die meist strengeren deutschen Vorgaben beachten müssen. Lohn- und Sozialdumping sowie ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit seien damit programmiert. Wer ist für die Dienstleistungsrichtlinie, wer wehrt sich dagegen? Befürworter sind ein Großteil der EU-Kommissare, allen voran Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy. Im Europäischen Parlament unterstützen vor allem die Christdemokraten als stärkste Fraktion sowie die Liberalen die Richtlinie. Der linke Flügel steht dem Plan mehrheitlich skeptisch gegenüber. In der Bundesregierung haben die Kritiker die Oberhand. Auch Kanzler Gerhard Schröder hegt massive Bedenken - was Wirtschaftsminister Wolfgang Clement allerdings nicht daran hindert, weiter für das Herkunftslandprinzip zu plädieren. Gewerkschaften, Verbraucherschützer und Sozialverbände laufen Sturm gegen die Pläne. Die Wirtschaft ist in dieser Frage sehr gespalten: Sie will zwar einerseits prinzipiell eine Liberalisierung des Dienstleistungsmarkts, doch andererseits bereitet ihr das Herkunftslandprinzip auch Bauchschmerzen. Welche Branchen sollen ausgenommen werden? Ausnahmeregelungen für Notare, Ärzte, Börsianer und Makler gelten bereits seit Wochen als sicher. Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hat nach den massiven Protesten vor allem aus Frankreich und Deutschland Entgegenkommen signalisiert und weitere Ausnahmen für den Gesundheits-Sektor und öffentlich finanzierte Dienstleistungen versprochen. Experten rechnen auch für das Baugewerbe mit einer Sonderregelung. Die Bundesregierung dringt darüber hinaus auf Ausnahmen für sicherheitsrelevante Dienstleistungen, bei Zeit- und Leiharbeit sowie bei ethisch sensibler Forschung. Wie geht es weiter? In Kraft treten kann die Dienstleistungsrichtlinie nur, wenn EU-Parlament und -Ministerrat mehrheitlich zustimmen. Knackpunkt dabei ist und bleibt das Herkunftslandprinzip, an dem Kommissar McCreevy auch nach den jüngsten Zugeständnissen prinzipiell festhält. Die Kommission will ihren Entwurf nun nach der ersten Lesung im Parlament überarbeiten, die bis Ende des Jahres über die Bühne sein soll. Ein Sprecher von Binnenmarktkommissar McCreevy schloss kürzlich allerdings nicht aus, dass der Richtlinien-Entwurf ganz zurückgezogen wird, wenn Parlament und Mitgliedsländer zu viele Ausnahmen wollen. Es mache keinen Sinn, zitiert ihn das Handelsblatt, "jahrelang für einen Elefanten zu kämpfen, um am Ende eine Maus zu bekommen".

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