Euro in der Krise: "Die Politik muss auf die Ängste reagieren"

Trier · "Mit der guten, alten D-Mark wäre das nicht passiert", hört man angesichts der derzeitigen Euro-Krise immer wieder. Stimmt das? Lesen Sie hier das komplette Interview mit dem Trierer Finanzexperten Prof. Ludwig von Auer.

Warum musste am Wochenende in aller Hektik das nächste Rettungspaket geschnürt werden?

Von Auer: Um die Hektik zu verstehen, muss man sich an den Herbst 2008 erinnern: Der Zusammenbruch der Geschäftsbank Lehman Brothers führte damals dazu, dass sich die Geschäftsbanken untereinander kein Geld mehr ausliehen. Dadurch kamen weitere Geschäftsbanken in Zahlungsschwierigkeiten, die in weniger angespannten Zeiten niemals aufgetreten wären. Die Gefahr einer umfassenden Bankenkrise war überdeutlich. Bankenkrisen münden normalerweise in schweren Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit. Es musste damals also beherzt gehandelt werden und es wurde beherzt gehandelt. Die Geschäftsbanken wurden von den großen Zentralbanken mit Geld versorgt.

Was hat das mit den Ereignissen des letzten Wochenendes zu tun?

Von Auer: Ende der letzten Woche haben die Geschäftsbanken des Euroraums begonnen, überschüssige Gelder bei der Europäischen Zentralbank zu parken, statt sie anderen Geschäftsbanken zur Verfügung zu stellen. Sollte sich dieser Trend verstärken, würde er uns also wieder in die Situation des Herbstes 2008 führen. Deshalb musste schnell gehandelt werden. So gesehen muss die Politik im Augenblick auf die Ängste und das Misstrauen auf den Kapitalmärkten reagieren. Die Politik ist eine Getriebene dieser Ängste.

War dies die letzte Stufe oder sind weitere Hilfen notwendig?

Von Auer: Ob weitere Hilfen notwendig werden, hängt davon ab, ob man das Fundamentalproblem der ganzen Eurokrise in den Griff bekommt: Die Finanzmärkte haben im Augenblick nicht den Eindruck, dass die Regierungen des Euroraums willens sind, ihre Staatsschulden durch unpopuläre Maßnahmen nachhaltig in den Griff zu bekommen.

Die Eurostaaten haben sich stattdessen verpflichtet, hoch verschuldeten Mitgliedern beizustehen. Diese Zusage wurde durch die aktuelle Zuspitzung notwendig. Um langfristige Stabilität in den Euro zu bekommen, müssen sich die Eurostaaten aber verpflichten, ihre Staatshaushalte in den Griff zu bekommen.

Dieses Ziel zu erreichen, ist mit der eingegangenen Beistandsverpflichtung deutlich schwerer geworden. Den Griechen war klar: Schmerzhafte Sparmaßnahmen sind notwendig, um den Staatsbankrott abzuwenden. Nur so konnte die griechische Regierung die notwendigen Maßnahmen durchsetzen. Portugal, Spanien und Italien können nun aber auf neue Kredite hoffen. Ohne unmittelbar drohenden Staatsbankrott wird die Bevölkerung in diesen Ländern die Notwendigkeit von Einschnitten nicht erkennen oder erkennen wollen. Entsprechend werden auch die Regierungen keine langfristig orientierte Gesundung der Staatsfinanzen angehen. Das ist aber eine Bedrohung für die Stabilität des Euro.

Wollte man die Finanzmärkte beruhigen, so müsste man glaubwürdige Verpflichtungen und Regelwerke zur Senkung der Staatsschulden einführen. Dies lässt sich schwer an einem Wochenende hinbekommen. Wenn aber in dieser Richtung in den nächsten Wochen und Monaten kein glaubwürdiger Fortschritt erzielt wird, dann sehe ich weitere Turbulenzen auf uns zurollen.

Wer sind denn nun die Hauptschuldigen: Finanzjongleure oder Schulden-Politiker?

Von Auer: Der Euro hat gegenüber dem Dollar innerhalb von 6 Monaten fast ein Sechstel seines Wertes verloren, mit zuletzt zunehmender Tendenz. Ursache für diesen Trend sind nicht die dunklen Absichten obskurer Spekulanten, sondern die Verschuldungen in den Euro-Ländern und der mangelnde Wille, diese Verschuldungen zügig herunterzufahren. Spekulanten können ohnehin vorhandene Krisen zuspitzen, sie lösen diese Krisen im Normalfall aber nicht aus.

Der ganze Zusammenhang lässt sich am Beispiel Griechenlands gut dokumentieren. Auslöser der griechischen Krise waren die griechischen Regierungen, die über Jahrzehnte hinweg über ihre Verhältnisse gelebt haben: zu viele Staatsdiener, zu hohe Rentenversprechungen, zu wenig Privatisierung von Staatsbetrieben, zu viel Bürokratie und – was leider oft damit einhergeht – zu viel Korruption. Der schleichende Abwärtstrend Griechenlands wurde aber übertüncht, und zwar mit manipulierten offiziellen Statistiken. Als die echten Zahlen ans Licht kamen, waren das natürlich sehr beunruhigende Nachrichten für die Kreditgeber Griechenlands. Ein Staatsbankrott Griechenlands war denkbar geworden. Die Kreditgeber Griechenlands würden dann nur einen Teil ihre Kredite wiedersehen.
Dagegen wollten viele eine Versicherung erwerben. Solche Versicherungen gegen griechische Zahlungsausfälle gab es schon lange auf dem Markt. Als die wahren griechischen Zahlen durchsickerten, kauften Hedge-Fonds solche Versicherungen im großen Stil auf, obwohl sie selbst dem griechischen Staat kein Geld geliehen hatten. Die Hedge Fonds spekulierten, dass die Versicherungen in Kürze so wertvoll werden, dass sie die Versicherungen dann zu einem viel höheren Preis wieder verkaufen können. Damit lagen sie auch richtig. Die früheren Verkäufer der Versicherungen lagen hingegen falsch. Hätten sie die Versicherungen behalten und dann direkt an die verunsicherten Kreditgeber verkauft, hätten Sie den Kursgewinn gemacht. Gespeist wird der Gewinn aus dem Geld der Kreditgeber, sie sich bei den griechischen Staatspapieren verspekuliert haben und nun das weitere Risiko begrenzen wollen. Das läuft alles zwischen den Spekulanten ab. Deshalb taugen die Spekulanten nicht als Buhmann. Übrigens deckten die Versicherungen gegen den griechischen Staatsbankrott nur 2 Prozent der griechischen Staatsschulden ab!

Muss ich jetzt um mein Erspartes bangen?

Von Auer: Wenn die Eurostaaten während der nächsten Wochen und Monate keine glaubwürdigen Verpflichtungen und Regelwerke zu den Staatsschulden einführen, dann fürchte ich, wird der Druck auf EZB wachsen, mehr Geld zu drucken. Der Wert des Euro würde dann noch weiter fallen und die Inflation im Euroraum würde steigen. Finanzvermögen würde tendenziell an Wert verlieren. Als Anleger würde ich deshalb sehr genau die Beschlüsse der Eurostaaten in den nächsten Wochen beobachten. Gewinner wären bei einer Inflation diejenigen, die im Augenblick Schulden in Euro haben und deren Gehalt mit der Inflation Schritt hält. Für sie wäre es angesichts des höheren Gehalts viel leichter die Schulden zurückzuzahlen.

Hätte uns die D-Mark vor der Krise bewahrt?

Von Auer: Eine Krise hätten wir auch ohne Euro. Wir leben ja nicht auf einer Insel. Unsere Banken hätten dennoch Staatsanleihen verschuldeter Staaten und wären unmittelbar von einem Staatsbankrott in Griechenland oder Portugal betroffen. Ob unsere eigene Regierung einen strikten Sparkurs durchgehalten hätte ist auch alles andere als klar. Der Euro hat uns außerdem während der letzten zehn Jahre viele ökonomische Vorteile verschafft, darunter die gesunkenen Wechselkursrisiken unserer Exporteure und Importeure. Natürlich hat die gemeinsame Währung auch die beteiligten Länder näher zueinander gebracht, das ist eine friedenssichernde Maßnahme.
Aus meiner Sicht war die Einführung des Euro sinnvoll. Wir wissen heute aber auch, dass der Euro solide Finanzpolitik benötigt. Dies für die Zukunft zu sichern, ist die Aufgabe der aktuellen Regierungen. Gelingt ihnen dies nicht, dann ist auch das Projekt Euro ein Fehler gewesen.

Das Interview führte TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

Zur Person

Ludwig von Auer ist seit 2007 Professor für Finanzwissenschaft an der Uni Trier. Zuvor lehrte der 44-Jährige in Chemnitz und Magdeburg.

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