"Finanzprobleme bleiben ungelöst"

BERLIN. Der Vorsitzende der Techniker-Krankenkasse (TK), Norbert Klusen, hält die Bürgerversicherung zur finanziellen Stabilisierung des Gesundheitswesen für ungeeignet. Den Ersparnissen stünden höhere Beitragsprognosen gegenüber.

Mit der Bürgerversicherung soll alles besser werden. Was halten Sie von der politischen Diskussion? Klusen: Ich hätte mir gewünscht, dass wir zunächst einmal das Gesetzgebungsverfahren zur anstehenden Gesundheitsreform unter Dach und Fach bringen und nicht noch mehr Verunsicherung bei den Menschen erzeugen. Aber der Begriff der Bürgerversicherung klingt doch positiv. Klusen: Sicher ist eine Diskussion legitim. Nur, was man sich von der Bürgerversicherung verspricht, hält der Realität nicht Stand. Keine Erwartung ist realistisch? Klusen: Doch, der Gerechtigkeit wird Genüge getan, denn alle zahlen ein. Und die falschen Annahmen? Klusen: Zum Beispiel ist es ein Irrtum, zu glauben, dass mit der Bürgerversicherung eine wirtschaftliche Stabilisierung der gesetzlichen Kassen eintreten könnte. Die Mehreinnahmen aus der Erweiterung des Versichertenkreises durch Selbständige und Beamte können wegen des garantierten Bestandsschutzes in der privaten Krankenversicherung erst nach Jahrzehnten wirken. Nach Angaben der Rürup-Kommission liegt die Beitragsersparnis dann bei zwei Prozent. Auf der anderen Seite liegen die Beitragssatzprognosen bis zum Jahr 2030 bei über 30 Prozent. Das heißt, die Bürgerversicherung kann fast nichts ausrichten. Aber der Plan der Grünen, den Beitrag auch auf Kapitaleinkünfte oder Mieten zu erheben, müsste doch den gesetzlichen Kassen entgegen kommen. Klusen: Im Kern ist die Bürgerversicherung eine Pflicht zur Versicherung, wie sie in der Schweiz praktiziert wird. Welche Einkünfte man dabei einbezieht, ist eine andere Sache. Bei der Berücksichtigung von Zinsen und Mieten ist klar, dass damit eher die kleinen Leute belastet werden. Denn wegen der Beitragsbemessungsgrenze bleiben die vermögenden Personen außen vor. Insofern wäre die Bürgerversicherung sogar ungerecht. Die gesetzlichen Kassen sollen künftig mit den privaten Anbietern konkurrieren. Beide Systeme wirtschaften aber nach unterschiedlichen Prinzipien. Kann da Wettbewerb funktionieren? Klusen: Wenn eine allgemeine Pflicht zur Versicherung besteht, dann ist das nur im Wettbewerb sinnvoll, der auch die privaten Krankenversicherer einschließt. Und damit das funktioniert, müssen die Privaten den solidarischen Wettbewerbsbedingungen der Gesetzlichen unterliegen. Was bedeutet das konkret? Klusen: Das bedeutet, jeden Interessenten unabhängig von seinem Geldbeutel und Gesundheitszustand in die Versicherung aufzunehmen. Und eine Beteiligung am Risikostrukturausgleich, durch den die gesetzlichen Kassen ihre unterschiedliche Versichertenstruktur kompensieren, müsste es auch geben. Außerdem müssen die gesetzlichen Kassen gleichberechtigt Zusatzleistungen anbieten können. Aber die Privatkassen bilden im Gegensatz zu den Gesetzlichen auch kapitalgedeckte Altersrückstellungen für ihre Versicherten. Was soll daraus werden? Antwort: In einem Wettbewerb mit uns würde Kapitaldeckung keinen Sinn mehr machen. Unter dem Strich wäre die private Krankenversicherung nicht mehr das, was sie heute ist. Die Grenzen zwischen beiden Systemen wären weg. Halten Sie ein Einfrieren des Arbeitgeberbeitrages mit der Bürgerversicherung für vereinbar? Antwort: Natürlich geht das. In der Schweiz ist die Bürgerversicherung mit den so genannten Kopfpauschalen kombiniert, die in ihrer Wirkung genau so die Lohnnebenkosten entlasten wie das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrages. Der Nachteil ist, dass der Arbeitgeber keinerlei Verantwortung für das Gesundheitswesen mehr trägt. Unter dem Aspekt sinkender Lohnnebenkosten wäre es jedoch die ehrlichere Variante, als auf eine Ausgliederung weiterer Leistungen zu setzen. Ich wehre mich aber dagegen, die Frage der Lohnnebenkosten einzig an der Krankenversicherung fest zu machen. Schließlich trägt sie erheblich dazu bei, dass den Unternehmen gesunde Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Mit Robert Klusen sprach unser Korrespondent Stefan Vetter.

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