Frankreich im Blockadezustand

Paris · Frankreichs Autofahrer starren seit Tagen auf eine Landkarte mit vielen orangenen Punkten. Sie zeigen all die Tankstellen an, an denen es kein Benzin mehr gibt - mehr als 3000 waren es am Mittwoch. "Ich bin heute früh um fünf Uhr aufgebrochen und habe fünf Tankstellen abgeklappert, bevor ich zufällig auf diese hier stieß", sagte ein Autofahrer an der Pariser Porte de Saint Cloud im Fernsehen. Dort gab es noch Benzin, währende andere Stationen im Großraum Paris bereits Zettel aufgehängt hatten mit dem handschriftlichen Hinweis "Rupture de Stock" - Bestände aufgebraucht.

Paris. Verantwortlich für die Benzinknappheit, die laut Regierung ein Fünftel der Tankstellen erfasst hat, ist ein Streik der den Kommunisten nahestehenden Gewerkschaft CGT. Sie blockiert sowohl die Treibstoffdepots als auch sechs der acht Raffinerien des Landes. Hinter Holzbarrikaden verschanzen sich die Gewerkschafter in ihrer rot-weißen Kluft, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. "Wir sind bereit, bis zum Letzten zu gehen für eine Rücknahme des Arbeitsrechts", kündigte CGT-Chef Philippe Martinez kämpferisch an.
Valls bleibt hart



Ebenso kämpferisch ist sein Gegenspieler Manuel Valls auf der Regierungsseite. "Es reicht", schleuderte der Premierminister dem Gewerkschaftschef entgegen, nachdem die Polizei am Dienstag die Blockade einer ersten Raffinerie aufgelöst hatte. "Ein frontaler Konflikt ist altertümlich und konservativ", kritisierte der Sozialist, der das Arbeitsgesetz als Zeichen seines Reformwillens sieht, im Radio.
Doch für Martinez, den Hardliner mit dem buschigen dunklen Schnurrbart, ist gerade dieser Arbeitskampf alter Schule eine Gelegenheit, sich gegen die moderaten Gewerkschaften wie die CFDT zu profilieren. Die hatte dem Arbeitsrecht ihren Segen gegeben, das beispielsweise Betriebsvereinbarungen zur Regelung der Arbeitszeit vorsieht statt wie bisher Abkommen auf Branchenebene.
CFDT-Chef Laurent Berger gibt trotzdem der Regierung die Schuld an dem Chaos, das seit Bekanntwerden der Reform im Februar herrscht. "Die Regierung ist schuldig geworden, indem sie keine Erklärungen lieferte und so den Weg für eine Radikalisierung bereitete", kritisierte Berger in der Zeitung Le Parisien.
Großdemo nach EM-Beginn



Falls die Proteste die in zwei Wochen beginnende EM stören sollten, sehen 61 Prozent der Franzosen die Verantwortung bei der Regierung und nur 37 Prozent bei den Gewerkschaften. Sportminister Patrick Kanner warnte bereits davor, die wirtschaftlichen Vorteile, die die EM verspricht, durch den Streik zunichte zu machen. Doch die CGT will die Protestbewegung noch ausweiten: Am Donnerstag soll auch das erste Atomkraftwerk bestreikt werden. Nächste Woche haben die Gewerkschaften der Pariser Verkehrsbetriebe und der Fluggesellschaften den Ausstand angekündigt. Und am 14. Juni, vier Tage nach Beginn der Fußball-EM, folgt die nächste Großdemonstration.
Da die Beteiligung seit März zurückging, sucht die Gewerkschaft nun ihr Heil in radikaleren Methoden wie eben der Blockade wichtiger Industriezweige. Sie hat noch den Herbst 2010 in Erinnerung, als es ihr trotz Massenprotesten nicht gelang, die Rentenreform zu stoppen. Damals ging es gegen die konservative Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy, doch diesmal richtet sich der Protest gegen den Sozialisten François Hollande, zu dessen Wahl die CGT 2012 noch aufgerufen hatte. Inzwischen ist sie von der Unterstützung zur Totalopposition übergegangen. Von einem "Stellungskrieg" zwischen Regierung und Gewerkschaft schreibt die Zeitung Le Monde. Ausgang? Ungewiss.
Extra

Die Confédération générale du travail (CGT) ist ein französischer Gewerkschaftsbund, der der Kommunistischen Partei nahesteht. Seit einigen Jahren ist allerdings zu beobachten, dass diese Verbindung zunehmend schwächer wird. Gegründet wurde die CGT auf einem Kongress vom 23. bis 28. September 1895 in Limoges. Noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs war die revolutionär-syndikalistische CGT der einzige französische Gewerkschaftsbund. Der zunehmend tiefe Gegensatz zwischen Reformisten und Revolutionären sowie die Gründung der Roten Gewerkschaftsinternationale führten 1921 zur Spaltung der Organisation. Die moderaten Kräfte verblieben in der CGT, die radikaleren gründeten mit der Confédération Générale du Travail Unitaire (CGTU) einen neuen Gewerkschaftsbund. Quelle: Wikipedia

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