"Fünf nach zwölf"

BERLIN. CDU/CSU und Handwerksverbände haben der von Rot-Grün geplanten weitgehenden Abschaffung des Meisterzwangs den Kampf angesagt.

"Verweigern wir uns doch einfach mal", ruft Volker Rode durch die Halle des riesigen Paul-Löbe-Haus, in dem in Berlin die Abgeordneten des Bundestages ihre Büros haben. Für diesen Satz erntet er viel Applaus von seinen rund 700 Meisterkollegen, die in die Hauptstadt gekommen sind, um mit der versammelten Spitze der Unions-Fraktion über "Handwerk ohne Meister?" zu diskutieren. Aufruf zum Boykott

Schnell wird jedoch klar, worum es den Mittelständlern eigentlich geht: Dampf ablassen, einfach mal den Ärger und Frust "über die rot-grüne Mischpoke" loswerden, die die Handwerksordnung novellieren und den Meisterbrief für 65 von 94 Berufen abschaffen will. "Die wollen uns fertig machen. SPD und Grüne versetzen uns jetzt den Todesstoß", schimpft ein Fleischer mit zitternder Stimme am Mikrofon. "Es ist fünf nach zwölf!" Rode ist 40 Jahre alt, er kommt aus Gelenhausen in Mittelhessen. Von Beruf ist er Steinmetz, seit 1996 führt er den Familienbetrieb. Als Meister hat er in all den Jahren zwölf Jugendliche ausgebildet, 520 000 Lehrstellen, erinnert er die anderen Handwerker, stelle man doch insgesamt jährlich zur Verfügung. "Wer will uns zwingen, nächstes Jahr noch einen einzigen Jugendlichen auszubilden?", fordert er so etwas wie einen Boykott, ohne es direkt auszusprechen. Die CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende Angela Merkel guckt vorne auf dem Podium ziemlich skeptisch, als sie den Aufruf hört. Michael Glos, CSU-Landesgruppenchef und gelernter Müllermeister, grinst ein wenig verlegen angesichts des Beifalls, den Rode erhält. Und der neben ihm sitzende Dieter Philipp, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), blickt lieber stur vor sich hin. Über das Ziel ist man sich einig - die Reform der Handwerksordnung von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) soll nicht Gesetz werden, das will die Union über den Bundesrat so weit wie möglich verhindern. Handwerkers geballter Zorn ist den Funktionären auf dem Podium allerdings nicht ganz geheuer. Man sieht es. Clements Pläne, die er vor einer Woche vorgestellt hat und die den Meisterbrief nur noch für Berufe vorsehen, deren mangelhafte Ausübung die Kunden gefährden könnte, werden am Donnerstag im Parlament erstmalig beraten. Die Union hat zusammen mit dem Handwerk Gegenvorschläge erarbeitet. Auf deren Grundlage wird Bayern demnächst einen Gesetzentwurf der unionsgeführten Länder präsentieren. Kernpunkt ist, dass CDU und CSU für die Zuordnung von Berufen mit Meisterpflicht anders als die Regierung nicht nur die Gefahrenabwehr allein gelten lassen wollen. Auch eine überdurchschnittliche Ausbildungsleistung und der Schutz von Gesundheit, Umwelt und Verbrauchern soll berücksichtigt werden. Zustimmung findet hingegen die von Rot-Grün geplante Aufhebung des Inhaberprinzips - ein Existenzgründer ohne Meisterbrief kann also einen Betrieb übernehmen, wenn er einen Meister einstellt. Den Handwerkern im Paul-Löbe-Haus geht es allerdings nicht so sehr um die Ideen der C-Parteien - Modernisierung hin oder her, die teilweise Abschaffung des Meisterbriefs führe eben nicht zu "einem Überfluss an Aufträgen", formuliert Merkel das, was die Handwerker eher bewegt: Es ist ihre vielfach angeschlagene wirtschaftliche Situation. Bürokratie, zu hohe Abgaben, zu wenig Geld bei den Kunden: Für die Mittelständler sind dies Ursachen für die schlechte Lage im Handwerk - und nicht die 50 Jahre alte Handwerksordnung. Es könne nicht sein, kritisiert Merkel, dass ein Meister keine Aufträge mehr habe, während sein Geselle mit staatlicher Förderung eineIch-AG aufmache und zum Konkurrenten werde. 130 000 Meister stünden in Wartestellung, "die sofort loslegen würden", so die CDU-Vorsitzende, wenn die wirtschaftliche Lage so wäre. "Wer jetzt noch ausbildet, muss doch Angst haben, sich seine eigene Konkurrenz zu schaffen", sagt Steinmetz Rode. Den eigenen "Boykottaufruf" will aber auch er nicht befolgen.

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