Gewerkschaftschef geißelt Werkverträge

Trier · Als "neues Krebsgeschwür" hat der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Nahrung - Genuss- Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, die Ausbreitung von sogenannten Werkverträgen bezeichnet. In Trier sprach er vor etwa 120 Delegierten der Gewerkschaft bei der Jahreshauptversammlung.

Trier. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten (NGG, seihe Extra), Franz-Josef Möllenberg, hat die zunehmende Beschäftigung von Arbeitnehmern über sogenannte Werkverträge scharf kritisiert. Dem Trierischen Volksfreund sagte Möllenberg, Werkverträge seien "das nächste Krebsgeschwür, das sich auftut" (siehe Interview).
Werkverträge ermöglichen es Unternehmen, Beschäftigte aus der Stammbelegschaft durch Leiharbeiter zu ersetzen. Werkverträge lassen es zu, dass die Arbeitgeber dabei aber nicht an den gesetzlichen Mindestlohn für Leiharbeiter gebunden sind, der in Westdeutschland derzeit bei 7,89 Euro pro Stunde liegt. Vor allem Schlachtbetriebe griffen verstärkt auf Werkvertragsarbeiter zurück, sagte Möllenberg bei einer Veranstaltung der NGG in Trier am Samstag.
"In manchen Schlachtbetrieben gibt es nur noch zehn Prozent eigene Beschäftigte, 90 Prozent sind über einen Werkvertrag im Unternehmen", sagte er und forderte den Gesetzgeber auf, etwas dagegen zu tun. "Es gibt skrupellose Arbeitgeber, die den rechtlichen Rahmen ausschöpfen, um Profit zu machen", kritisierte Möllenberg. Damit spielte er offenkundig auf den Fall des angeschlagenen Saarbrücker Traditionsunternehmens Höll Fleischwaren an. Die Firma hatte im Januar rund 100 Mitarbeiter entlassen und einen Teil davon unmittelbar durch rumänische Arbeiter ersetzt, die über einen Werksvertrag beschäftigt werden.
Tarifvertrag nur für jeden Dritten


Möllenberg forderte die Bundesregierung abermals auf, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde einzuführen. "Wir haben zu viele weiße Flecken, wo es keine gewerkschaftlichen Strukturen und keine Betriebsräte gibt", sagte er. Nur etwa jeder dritte Arbeitnehmer falle unter den Schutz eines Tarifvertrags, denn in einigen Branchen seien die Gewerkschaften zu schwach organisiert. Dies gelte insbesondere im Hotel- und Gaststättengewerbe. "Deshalb brauchen wir Hilfe vom Gesetzgeber", sagte Möllenberg und rief dazu auf, den Druck auf die schwarz-gelbe Koalition in Berlin weiter zu erhöhen.
Zur Jahreshauptversammlung der Gewerkschaft, die in der Europäischen Rechtsakademie stattfand, kamen etwa 120 Delegierte. Der Vorsitzende des NGG-Regionalverbands, Gregor Hess, setzte ebenfalls das Thema Mindestlohn auf die Agenda. "Deutschland subventioniert den Niedriglohnsektor mit etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr. Mit einem Mindestlohn könnte das Geld eingespart werden", sagte er.
Christian Schmitz vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit durch ein zu niedriges Lohnniveau erreicht habe und damit seine europäischen Partner schwäche.
In ihrem Jahresbericht fasste Christel Martin, die Geschäftsführerin des NGG-Regionalverbands, die Arbeit der Gewerkschaft im vergangenen Jahr zusammen.
"In den Branchen, in denen wir gut organisiert sind, waren die Tarifabschlüsse gut", sagte sie mit Blick auf die Industrieunternehmen in der Region. Dort erreichte die NGG im Jahr 2011 durchschnittlich Tarifabschlüsse mit einem zwischen zwei und drei Prozent höheren Lohn. "Damit haben wir für unsere Mitglieder Reallohnzuwächse erreichen können", sagte Martin.
In Branchen, in denen die Gewerkschaft schlecht organisiert ist, fielen die Ergebnisse weniger hoch aus. Am niedrigsten waren sie im Bäckerhandwerk. Dort konnte die NGG nur eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent durchsetzen.Extra

Die Gewerkschaft Nahrung- Genuss - Gaststätten (NGG) ist Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und vertritt die Interessen von Arbeitnehmern in den Branchen der Nahrungs- und Getränkeindustrie, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie in der Tabakverarbeitung. In der Region Trier hat sie derzeit knapp 3800 Mitglieder. Der Bereich umfasst die Stadt Trier sowie die Landkreise Trier-Saarburg, Bernkastel-Wittlich, Birkenfeld, den Eifelkreis und den Vulkaneifelkreis. Die meisten Mitglieder arbeiten in den großen Industriebetrieben der Region. Das sind vor allem Japan Tobacco in Trier, Dr. Oetker in Wittlich, die Bitburger Braugruppe und der Gerolsteiner Brunnen. kbbExtra

 Franz-Josef Möllenberg. TV-Foto: Kim-Björn Becker

Franz-Josef Möllenberg. TV-Foto: Kim-Björn Becker

... Franz-Josef Möllenberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Herr Möllenberg, Sie fordern seit Jahren, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Warum halten Sie das für notwendig? Möllenberg: Wir haben nach wie vor die Situation, dass jeder dritte Arbeitnehmer in Deutschland nicht mehr unter die Sicherheit eines Tarifvertrages fällt. Um einen Schutz vor Hungerlöhnen zu bieten, ist es zwingend notwendig, eine Sicherung nach unten zu haben. Sonst ist dem freien Fall der Löhne und Gehälter Vorschub geleistet. So geht das nicht weiter. Betrifft das die Branchen, die von der NGG abgedeckt werden, mehr als andere? Möllenberg: Nein, das betrifft alle Branchen. Bei uns im Industriebereich haben wir saubere Verhältnisse, auch in der Region Trier. Nehmen Sie Oetker in Wittlich, Japan Tobacco in Trier, die Bitburger Brauerei und den Gerolsteiner Brunnen - da sind saubere Tarifverträge. Nur: Die Betriebe, in denen wir solche Tarifverträge durchsetzen, werden dauerhaft nicht überleben, wenn der Konkurrenzbetrieb sein Geschäftsmodell darauf aufbaut, sich nicht mehr an Regelungen zu halten. Deshalb müssen wir für gleiche Arbeit auch gleiches Entgelt durchsetzen. Das gilt zum Beispiel auch für Leiharbeiter. Hinzu kommt, dass sich Werkverträge immer weiter ausbreiten. Das ist das nächste Krebsgeschwür, das sich auftut. Haben Sie beim Mindestlohn keine Bedenken, dass Arbeitgeber Mitarbeiter entlassen, weil sie höhere Löhne nicht zahlen können oder wollen? Möllenberg: Ich kenne dieses Argument. Beispiele aus Europa zeigen aber, dass das nicht so ist. Das hat den Staatshaushalt entlastet, kein Arbeitsplatz ist vernichtet worden. kbb

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