Gewerkschaftskritik: Mindestlohn wird zu lasch kontrolliert

Berlin · Arbeitgeber müssen bei Verstößen gegen den seit Anfang 2015 geltenden Mindestlohn von 8,50 Euro bislang offenbar kaum Sanktionen befürchten. Die Bundesregierung kann darin keinen Makel erkennen. Beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ist man empört.

Berlin. "Arbeitgeber können sehr kreativ sein, wenn sie Arbeitnehmer um den gesetzlichen Mindestlohn bringen wollen. Deshalb muss effektiv und umfassend kontrolliert werden", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell gegenüber unserer Zeitung. "Die Bundesregierung findet aber immer neue Ausflüchte, warum das nicht passiert."
Körzells Kritik entzündet sich an einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine aktuelle Anfrage der Linken. Darin werden "teilweise technische Umstellungsarbeiten bei Arbeitgebern" im Zusammenhang mit der gesetzeskonformen Erfassung der Arbeitszeiten ins Feld geführt, um den Verzicht auf Ermittlungen bei Verstößen zu rechtfertigen. Auch hätten Abgrenzungsfragen bei der Anwendung des Mindestlohngesetzes zu "einigem Aufklärungsbedarf geführt". Wegen dieser Notwendigkeiten, so heißt es weiter, habe sich die zuständige Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) bei der Einführung des Mindestlohns auf die Aufklärung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer konzentriert.
"Es ist absurd, wie die Bundesregierung - willentlich oder nicht - dem Arbeitgeber-Lamento auf den Leim geht", meinte dagegen Körzell empört. Fakt sei, dass die Arbeitszeiten auch schon vor Einführung des Mindestlohns erfasst werden mussten. Nach seiner Einschätzung wolle die Bundesregierung nur davon ablenken, "dass sie mit der zugesagten Personal-Aufstockung bei der FKS keinen Schritt weiterkommt".
Für die Überwachung des Mindestlohns soll die beim Zoll angesiedelte Behörde bis zum Jahr 2022 um 1600 neue Mitarbeiter aufgestockt werden. Gegenwärtig arbeiten dort rund 7000 Personen. Laut Bundesfinanzministerium wurden im vergangenen Jahr jedoch 257 FKS-Beschäftigte in andere Behörden abkommandiert, um bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise mitzuhelfen. Trotz des erweiterten Aufgabenspektrums - immerhin betrifft der Mindestlohn rund vier Millionen Beschäftigte - standen 2015 also weniger Kontrolleure zur Verfügung.
Wohl auch deshalb wurden nach Angaben der Bundesregierung im vergangenen Jahr nur 705 Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Mindestlohns durchgeführt. Dabei kam es zu Bußgeldern in Höhe von lediglich 200 000 Euro gegen Arbeitgeber.
In diesem Zusammenhang kritisierte Körzell auch die sogenannte risikoorientierte Prüfpraxis. Gemeint sind Branchen, die besonders von Schwarzarbeit betroffen sind. "Mit der Konzen tration der Prüfung auf große Fische macht es Finanzminister Schäuble den Arbeitgebern leicht, den Mindestlohn zu umgehen", erläuterte der Gewerkschafter. "Der entfaltet nämlich gerade in kleinen Betrieben seine Wirkung. Diese Prüfpraxis muss umgehend geändert werden, um dem Mindestlohn zu seiner Gültigkeit zu verhelfen", forderte Körzell. Stefan Vetter

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