"Heute haben alle aufgeatmet"

SAARBURG. Rettung in geordneten Bahnen: Das Amtsgericht Trier hat gestern vormittag ein vorläufiges Insolvenzverfahren für die Saarburger Kunststoff-Firma Tectro angeordnet. Das Ziel des vorläufigen Insolvenzverwalters Franz Abel: das Unternehmen retten und die Kunden bei der Stange halten.

So sehr haben sich Belegschaft, Betriebsrat, Gewerkschaft und Kunden wohl selten auf die Anordnung eines Insolvenzantrages "gefreut" wie im Fall des Saarburger Kunststoffherstellers Tectro - wenn man angesichts der Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens überhaupt von Freude sprechen kann. Doch nach dem Hickhack um mehrfach ausgebliebene Lohnzahlungen, drohende Auftragsverluste, einen Strafantrag des Betriebsrates gegen den Neueigentümer Cor Jacobs sowie dessen ungewöhnliches Verhalten (der TV berichtete) schöpfen Mitarbeiter und Kunden erstmals seit Monaten wieder Mut. Das wurde gestern auf der außerordentlichen Betriebsversammlung in einem Tectro-Lager deutlich.Keine Entscheidung ohne "starken Verwalter"

Denn eine von zwei saarländischen Hausbanken hatte vor wenigen Tagen beim Amtsgericht Trier Fremdantrag auf Insolvenz gestellt. Kurz nach 10 Uhr vormittags lief gestern die Frist ab, Amtsgerichtsdirektorin Jutta Terner hat den Saarbrücker Insolvenzanwalt Franz Abel dann zum so genannten "vorläufigen starken Verwalter" ernannt. Eine wichtige Voraussetzung für einen Neuanfang. Denn: "Die jetzige Führung ist entmachtet. Künftig wird keine Entscheidung gefällt, die nicht über meinen Schreibtisch gegangen ist", sagte Abel und erntete kurzen Spontanapplaus der Mitarbeiter. "Es ist schon komisch, aber letztlich haben alle auf die Insolvenz gehofft", sagte Tectro-Betriebsratsvorsitzender Horst Molitor gestern. Und auch dem IG-Metall-Bevollmächtigten Roland Wölfl ist ein Stein vom Herzen gefallen: "Ich mache dieses Job nun über 30 Jahre, und Tectro ist sozusagen meine 250. Jubiläumsinsolvenz. Aber so viel Kraft habe ich noch nie aufwenden müssen, damit ein Unternehmen in rechten Bahnen läuft", sagte er. Am 23. August hatte der Belgier Cor Jacobs das Saarburger Unternehmen mit Werken in Neunkirchen/Saar, Hemhofen bei Erlangen und im polnischen Bromberg für sechs Euro von den Alteigentümern übernommen. Doch der im Kaufvertrag angegebenen Verpflichung, zwei Millionen Euro in die Tectro-Gruppe zu investieren, kam der neue Besitzer nie nach - auch bis zur Schlussfrist des Fremdantrages auf Insolvenz nicht, obwohl er dies laut Betriebsrat Molitor mehrfach angekündigt hatte. Im Gegenteil. Stattdessen mussten die rund 200 Mitarbeiter in Saarburg mehrfach über Wochen hinweg auf ihren Lohn warten. Im September hatten gar Tectro-Großkunden die Hälfte der Löhne gezahlt, um die Produktion überhaupt aufrechterhalten zu können. Seitdem sind keine Gehälter mehr geflossen. Und bei den Sozialversicherungen stehen derzeit Beiträge in Höhe von 455 000 Euro aus, teilte Insolvenzverwalter Abel gestern mit. Nun hat er alles in der Hand. Sein Ziel: "Ich stehe mit meinen vier Kollegen für die Fortführung eines Unternehmens. Ich werde retten, was zu retten ist." Abel - selbst seit 20 Jahren als Insolvenzanwalt aktiv und beispielsweise verantwortlich für die Abwicklung der Insolvenz beim 1. FC Saarbrücken Mitte der 90er-Jahre - stellte einen Massekredit in Aussicht und versprach, den Mitarbeitern den Oktoberlohn gegen Abtretung einer Vollmacht vorzufinanzieren. Auch die Zahlung der Nettolöhne für November und Dezember durch das Insolvenzausfallgeld der Arbeitsagentur sowie Weihnachtsgeld und Überstunden seien gesichert. Auch wenn Franz Abel erst einen ersten Eindruck der Bücher, Bilanzen, Produktion und Mitarbeiter von Tectro gewinnen konnte, ist er doch optimistisch: "Es ist denkbar, profitabel zu arbeiten. Tectro wurde mir als Firma geschildert, die gute Produkte liefern kann." Ob die Rettung in geordneten Bahnen jedoch ohne Arbeitsplatzabbau über die Bühne geht, sei unklar. "Aber ich werde um jede Stelle kämpfen." Bis Ende Dezember hat er nun Zeit, einen Bericht über die Zukunft von Tectro vorzulegen. Sechs Wochen, in denen er mit den Kunden spricht, interessierte Investoren prüft und von den Mitarbeitern "Engagement und Qualität bei der Arbeit" erwartet. "Es gibt viel zu tun", sagte Abel. Doch für die Beschäftigten ist die Insolvenz eine echte Chance. "Es kann nur noch besser werden als vorher", sagte Mitarbeiter Karl Schons. Und Betriebsrätin Petra Sauer sagte: "Bislang haben wir jeden Monat Blut und Wasser geschwitzt. Keiner wusste, was am nächsten Tag passiert. Heute haben alle aufgeatmet."

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