Immer mehr Hochschüler geben auf und finden in einer Handwerksausbildung ihre Berufung

Schoden · Es muss nicht immer ein Studium sein. Für manche ist eine Ausbildung die bessere Entscheidung. Ruth Sänger und Thomas Pauly haben sich schließlich fürs Handwerk entschieden - und sind jetzt ihr eigener Herr und Meister. Ein Weg, den derzeit immer mehr Studienabbrecher einschlagen.

Schoden. Der elektrische Hobel dröhnt, Thomas Pauly und Ruth Sänger haben Ohrenschützer angelegt, geben sich per Hand Zeichen. Bei solchem Lärm ist Kommunikation kaum anders möglich. Pauly schiebt das Holzstück durch den Hobel, die Lautstärke nimmt nochmals zu, als das Holz geschliffen und der Staub durch den Abzug gesogen wird. Sänger nimmt das Holz am hinteren Ende der Maschine entgegen, jeder Handgriff ist abgestimmt. "Man muss sich aufeinander verlassen können", sagt die 34-jährige Tischlermeisterin bestimmt.

Dass sie selbst einmal ihre eigener Chefin sein würde, wo sie "gern selbst alles regelt, entwirft und herstellt", war am Anfang des Berufslebens noch nicht klar. Ruth Sänger ist zwar künstlerisch interessiert, der kreative Anspruch einer handwerklichen Lehre scheint ihr zu Anfang jedoch zu niedrig. Und so wählt die junge Frau aus Reinsfeld (Kreis Trier-Saarburg) ein Studium für Kunst und Wirtschafts-/Arbeitslehre für Grund- und Hauptschulen in Koblenz, absolviert das erste Staatsexamen, auch wenn sie immer zufriedener mit ihrer Wahl wird. "Ich bin jemand, der etwas, das er anfängt, auch zu Ende macht", sagt sie. Doch nach einer Woche im Referendariat schafft sie es nicht mehr, sich zu verbiegen, ihre Interessen zu leugnen. "Ich dachte: Wenn ich jetzt den Absprung nicht schaffe, schaffe ich es nie mehr." Nach zwei Wochen und mit 28 Jahren beginnt Ruth Sänger eine Ausbildung zur Tischlerin.

Thomas Pauly hat sein Studium bereits früher abgebrochen. Weil er neben seinem Maschinenbaustudium an der Hochschule Trier in einer Schreinerei jobbt, entdeckt er schnell seine Liebe zum Holz. "Der Job fordert mich geistig, ich kann etwas mit meinen Händen schaffen", sagt der 32-Jährige. Dass er das Studium hinwirft, mit 22 den Hörsaal gegen die Werkstatt tauscht, beschert ihm fast nur Anerkennung. "Vor allem meine Eltern waren positiv angetan", sagt er.

Eine Reaktion, die Markus Feltes, selbst Maurer- und Betonbauermeister und Leiter des bundesweiten Modellprojektes "Vom Hörsaal zum Handwerk" bei der Handwerkskammer (HWK) Trier, selten wahrnimmt. Viele der seit Juli im Kooperationsprojekt aus fünf Kammern in Rheinland-Pfalz und im Saarland beratenen Studienabbrecher seien "planlos und auf Druck von außen ins Studium geschlittert, ohne zu wissen, was auf sie zukommt", sagt er. Dass die duale Ausbildung häufig zu einer geradlinigen Karriere von Lehre, Meisterbrief, Betriebsleitung und Selbstständigkeit führe, sei vielen Jugendlichen nicht bewusst und bekannt. "Junge Studienabbrecher sind hochmotiviert", sagt Günther Behr, HWK-Geschäftsführer Ausbildung. Immerhin habe sich die Zahl von Azubis mit Abitur, längerer Wartezeit und Studienabbruch in kurzer Zeit nahezu verdoppelt (siehe Extra). "Das sind die künftigen Führungskräfte und Hoffnungsträger." Im Fall von Ruth Sänger und Thomas Pauly hat sich Behrs Hoffnung bereits erfüllt. Sie haben nicht nur ihren Meister gemacht, sondern in einer ehemaligen Schreinerei in Schoden einen Betrieb gegründet. Sie sind ihren Interessen gefolgt, konzipieren und bauen Massivholzmöbel, mit Empfehlung durch ihre Kunden. Ihr Tipp an junge Leute, die vor der Berufswahl stehen und womöglich ihr Studium aufgeben wollen: "Man sollte viele Praktika machen, überall reinschnuppern. Dafür reichen Schulpraktika oft nicht", sagt Pauly. Und vor allem: "Der Beruf muss Spaß machen!"Extra

Rund 60 Prozent eines Schuljahrgangs machen heutzutage Abitur. Doch nur rund zehn Prozent von ihnen entscheiden sich laut dem Zentralverband des deutschen Handwerks für eine Handwerksausbildung. Den Großteil zieht's zum Studium. Allerdings kommen von den jährlich rund 500 000 Studienanfängern nicht alle durch. 100 000 Studienabbrecher gibt es bundesweit - jedes Jahr. Jeder dritte Studierende an Universitäten und jeder Vierte an Hochschulen bringt sein Studium nicht zum Abschluss. Der Grund: zu hohe Anforderungen, falsche Erwartungen, Finanzierungsprobleme, fehlende Motivation. Die Handwerkskammer (HWK) Trier stellt immer mehr Auszubildende mit Abitur und Wartezeiten fest. Ihr Anteil hat sich auf zehn Prozent in zwei Jahren nahezu verdoppelt. 2014 gab es 126 neue Lehrlinge mit Hochschulreife, 38 von ihnen haben zwischen Abi und Lehrbeginn eine Wartezeit von mindestens zwei Jahren. sas

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