INTERVIEW

Drei Fragen anWolfgang FilcDas deutsche Bruttoinlandsprodukt ist 2003 zum zweiten Mal seit der Deutschen Einheit geschrumpft. Sind die Wachstumsprobleme nach wie vor ungelöst?Filc: Natürlich sind sie ungelöst.

Wir hatten in den letzten zwei Jahren ein Wachstum des Produktionspotenzials von 1,5 Prozent. Das ist sehr gering. Aber die Nachfrage ist noch geringer gewesen. Wir hatten 2002 einen Rückgang des privaten Konsums von 0,8 Prozent, im letzten Jahr nochmal um 0,2 Prozent. Die Leute fragen nicht genügend nach, die Investitionen gehen zurück, die Nachfrage der öffentlichen Hand geht zurück - alles geht zurück. Das einzige, was uns davor bewahrt hat, dass wir einen noch stärkeren Rückgang hatten, war der Export. Und der ist gefährdet durch den starken Euro. Höhlt die schrumpfende Wirtschaftsaktivität Deutschland langsam aus? Filc: Völlig klar. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass wir in Deutschland meinen, dauerhaft eine Lohnzurückhaltung betreiben zu müssen. Die führt dazu, dass bei uns die Arbeitseinkommen nur in geringem Maße steigen - ganz anders übrigens, als in anderen Ländern Europas. Bei uns sinken die Löhne, es sinken die Lohnstückkosten. Und wir haben ein deutliches Nachfrageproblem. Wenn wir das nicht erkennen und lösen, werden wir weiter eine stagnierende Wirtschaft haben. Das wird noch schwerer, wenn sich der Anstieg des Euro gegenüber dem Dollar auf den Export auszuwirken beginnt. Welche Lösung schlagen Sie vor? Filc: Finanz-, Geld- und Lohnpolitik müssen zurückkommen zu einem stabilitätspolitischen Kodex mit Verantwortung für Preisstabilität und Beschäftigung bei Wirtschaftswachstum. Das heißt, wir sollten Lohnsteigerungen anstreben, die gleich hoch sind wie die Zunahme der Produktivität der Arbeit zuzüglich einer angestrebten Inflationsrate der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent: Das würde bedeuten, dass wir Lohnsteigerungen von drei bis dreieinhalb Prozent 2004 verkraften könnten. Die Zentralbank sollte die Zinsen senken, weil Deutschland nicht nur ein Land der Stagnation geworden ist, wir sind auch am Rande der Deflation. Das heißt, es gibt einen Rückgang der Preise - nicht nur bei MediaMarkt und Saturn, sondern insgesamt. Wir hatten 2003 einen Anstieg der Verbraucherpreise um 1,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Davon waren 0,6 Prozent zurückzuführen auf Steuer- und Abgabenerhöhungen; bleibt eine Preiserhöhung von nur 0,5 Prozent. Wenn man außerdem berücksichtigt, dass eine Preiserhöhung von 0,75 Prozent in jedem Jahr auf eine bessere Qualität der Produkte zurück zu führen ist - also drei Airbags für einen oder so -, dann sind wir bereits in der Deflation. Wir brauchen entschlossenes Tun und eine Zinssenkung der Zentralbank. Wir müssen sehen, dass die Einhaltung der Stabilitätskriterien von Maastricht notwendig und geboten ist. Der 59-jährige ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Trier. Seit 1981 ist er vor allem für den Bereich Geld, Kredit, Währung zuständig. Interview: Sabine Schwadorf

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