Jobcenter sagen Blaumachern den Kampf an

Berlin · Arbeitsfähige Hartz-IV-Empfänger, die im Verdacht einer vorgetäuschten Erkrankung stehen, müssen sich auf verstärkte Kontrollen der Jobcenter einstellen. Blaumachern droht eine Kürzung der Stütze. Nach zweijährigen Verhandlungen zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen gibt es dazu jetzt ein bundesweit einheitliches Verfahren. Ärzte sind davon wenig angetan.

Berlin. Paragraph 56, der die "Anzeige- und Bescheinigungspflichten bei Arbeitsunfähigkeit" von Langzeitarbeitslosen regelt, steht schon länger im Gesetzblatt. Doch erst vor wenigen Tagen bekamen die Mitarbeiter in den Jobcentern eine interne Weisung an die Hand, wie mutmaßliche Blaumacher zu erkennen sein sollen und was sich gegen sie unternehmen lässt.
Trotz der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könnten "im Einzelfall Zweifel an der Erkrankung bestehen", heißt es in dem siebenseitigen Papier. Das gelte für Betreffende, die "auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig" seien, deren Krankschreibung "häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche" falle, oder deren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von einem Arzt festgestellt worden sei, der durch die "Häufigkeit" der von ihm ausgestellten Krankschreibungen "auffällig geworden ist".
So begründe schon eine Rückdatierung der Krankschreibung von mehr als zwei Tagen "ernsthafte Zweifel". Stutzig sollen die Jobcenter auch werden, wenn die Krankmeldung des Hartz-IV-Empfängers nach einer Einladung zu einem Meldetermin, nach einem Konflikt mit dem zuständigen Jobcenter-Mitarbeiter oder zum Urlaubsende des Betroffenen ins Haus flattert.
Hausbesuche möglich


Im Zweifel sind die Jobcenter angehalten, die Krankenkasse des Betroffenen einzuschalten, denn sie verfügt über die Daten zur Krankheitsursache. Die Kassen wiederum können den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit einer Begutachtung des Falls beauftragen. Dafür sind auch Hausbesuche des MDK bei den Betroffenen möglich.
Wie viele Arbeitslose eine Krankheit vortäuschen, um sich Arbeitsangeboten oder Terminen beim Jobcenter zu entziehen, wird statistisch nicht gesondert erfasst. Dass es solche Fälle gibt, ist nach Angaben einer Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA) jedoch unstrittig. "Bisher gab es keine Handhabe, um in solchen Fällen tatsächlich tätig werden zu können. Das ist nun bei begründeten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitslosen klar geregelt", sagte sie dem TV.
Von den insgesamt gut 4,3 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfängern hatten sich im März rund 68 000 krankgemeldet. Diese ungewöhnlich hohe Zahl sei aber eher auf den generellen Anstieg der Erkrankungen im Frühjahr zurückzuführen, hieß es bei der BA.
Die Zahl der von den Jobcentern insgesamt verhängten Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose - etwa wegen Meldeversäumnissen oder Arbeitsverweigerung - ist in den vergangenen Jahren allerdings kontinuierlich gestiegen. Allein zwischen August 2011 und Juli 2012 kam es deshalb über eine Millionen Mal zu Leistungskürzungen. Der Zuwachs resultiert freilich auch aus der besseren Arbeitsmarktsituation. Denn nur wo Jobangebote unterbreitet werden, kann es zu entsprechenden Verstößen kommen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) übte heftige Kritik an der neuen Weisung für die Jobcenter. "Diese bürokratische Anordnung trieft vor Misstrauen nicht nur gegenüber den Hartz-IV-Empfängern, sondern auch gegenüber der Ärzteschaft", sagte KBV-Sprecher Roland Stahl dem TV. Es erschließe sich nicht, wie die Kontrollen praktisch ablaufen könnten. "Hier sind viele rechtliche Gebiete betroffen, da stellt sich die Frage, wie weit das Schnüffeln überhaupt gehen kann", meinte Stahl.
Das Erwerbslosenforum Deutschland in Bonn sprach von einer neuen "Hetzkampagne" gegen Hartz-IV-Empfänger. Die Weisung zeige, wie unsensibel die Jobcenter mit kranken Menschen umgingen.

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