Kassen im Minus - Krankenversicherte müssen sich auf Mehrbelastungen einstellen

Berlin · Die Zeiten, in denen die gesetzlichen Krankenkassen ein stattliches Finanzpolster anhäufen konnten, sind offenbar endgültig vorbei. Ihre Versicherten werden sich deshalb im kommenden Jahr auf eine "Steigerung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages" einstellen müssen, wie es in einem gestern bekannt gewordenen Papier der Bundesregierung heißt.

 Wenn teure, bewährte Medikamente mit neuen aus therapeutischen Gründen gekoppelt werden, kann das zu horrenden Summen pro Fallbehandlung führen. symbolfoto: dpa

Wenn teure, bewährte Medikamente mit neuen aus therapeutischen Gründen gekoppelt werden, kann das zu horrenden Summen pro Fallbehandlung führen. symbolfoto: dpa

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Berlin. Der Spitzenverband der Krankenkassen schätzt die Mehrbelastung im Schnitt auf bis zu 0,3 Beitragssatzpunkte. Anzeichen für die Trendumkehr gibt es schon länger. Denn inzwischen galoppieren die Ausgaben der Kassen den Einnahmen wieder davon.
So verzeichneten allein die Ortskrankenkassen Ende Juni ein Minus von 110 Millionen Euro, nachdem sie noch zu Jahresanfang deutliche Überschüsse verbuchen konnten. Bezogen auf alle Kassenarten lag das Defizit Ende Juni schätzungsweise bei etwa einer halben Milliarde Euro.Reform wirft Schatten voraus


Die Gründe für diese Entwicklung sind ebenfalls kein Geheimnis. Zu den größten Kostentreibern zählen die Ausgaben für Arzneimittel. Nicht nur, weil hier gesetzliche Ausgabenbremsen weggefallen sind. Der wesentliche Punkt sei, dass "neue, relativ teure Arzneimittel auf den Markt kommen", so der renommierte Gesundheitsökonom Jürgen Wasem zu unserer Zeitung.
Paradebeispiel dafür seien Präparate gegen Hepatitis C (virusbedingte Leberentzündung), die Therapiekosten von bis zu 80 000 Euro verursachen könnten, und das gleich für mehrere 10 000 Patienten. Auch bei der Bekämpfung von Krebs kommen nach Angaben Wasems immer mehr hochpreisige Medikamente zur Anwendung, die zudem kombiniert eingesetzt würden. "Wenn die Jahrestherapiekosten für ein solches Medikament bei 70 000 Euro liegen und ein neues hinzukommt, das bei 60 000 Euro liegt, dann ist man, weil sie kombiniert besonders wirksam sind, schon bei 130 000 Euro pro Fall", rechnete Wasem vor.
Obendrein wirft die geplante Krankenhausreform ihre Schatten voraus. Sie soll am 1. Januar 2016 in Kraft treten und die Kliniken auch finanziell besserstellen. Nach den Schätzungen der Kassen wird das Gesetz allein in den kommenden zwei Jahren Mehrkosten von rund 2,3 Milliarden Euro verursachen. Den Prognosen zufolge werden die Kassenausgaben 2016 insgesamt um etwa vier Prozent steigen, während die Einkommen der Versicherten, aus denen die Beiträge bezahlt werden, nur um etwa 2,8 Prozent zulegen.
Wahr ist allerdings auch, dass die Krankenkassen immer noch über hohe Reserven von etwa 15,5 Milliarden Euro verfügen. Allerdings schmilzt das Polster spürbar. Schon in diesem Jahr könnten die Rücklagen um 3,5 Milliarden Euro sinken und im nächsten Jahr um bis vier Milliarden Euro.
Beim zentralen Gesundheitsfonds, aus dem die Kassen ihre Zuweisungen erhalten, gibt es einen ähnlichen Trend.
Und was heißt das nun konkret für die Versicherten? Schon jetzt kommt praktisch keine Kasse ohne Zusatzbeitrag aus. Die übergroße Mehrheit der 123 gesetzlichen Kassen verlangt derzeit 0,9 Prozent vom Einkommen. Zusammen mit dem gesetzlich eingefrorenen Grundbeitrag (14,6 Prozent) sind es 15,5 Prozent. Dieser Satz könnte schon 2016 auf bis zu 15,8 Prozent steigen. Ein Beschäftigter mit einem Bruttogehalt von 3000 Euro müsste dann neun Euro mehr im Monat zahlen. Das Problem ist freilich, dass der Arbeitgeber nichts dazu beisteuert. Er trägt nur die Hälfte des Grundbeitrags mit.
Angesichts steigender Zusatzbeiträge könnte die Debatte über eine notwendige Erhöhung des paritätisch finanzierten Grundbeitrags neu aufflammen. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte gestern auch schon davor, die künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein den Versicherten aufzubürden.

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