Kranke bringen mehr

Die Krankenkassen schauen den Ärzten verschärft auf die Finger, welche Diagnosen sie stellen. Hintergrund: Je kranker ein Patient ist, desto mehr Geld bekommen die Kassen aus dem Gesundheitsfonds.

Trier. "Es geht ums Geld", sagt Walter Bockemühl, Chef der rheinland-pfälzischen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK). Es sei nichts dagegen zu sagen, dass die Krankenkassen die Ärzte darauf hinweisen würden, die Diagnosen richtig zu dokumentieren. "Dazu sind sie verpflichtet", sagt der Kassenchef. "Wir halten die Mediziner jedoch nicht dazu an, falsche Diagnosen zu stellen", sagt Bockemühl.

Mit der Einführung des Gesundheitsfonds bekommen die Krankenkassen für jeden Versicherten, bei dem eine von 80 zuvor festgelegten Krankheiten diagnostiziert wurde, mehr Geld als für einen gesunden Versicherten. Grundlage dafür ist der sogenannte Risiko-Strukturausgleich, mit dem die Mehrausgaben der Kassen für die Behandlung kranker Mitglieder ausgeglichen werden sollen.

Daher sind die Kassen seit einigen Wochen darauf erpicht, dass die Ärzte möglichst exakt, sprich vielleicht auch schlechter, diagnostizieren. Einige Arztpraxen in Rheinland-Pfalz erhielten jedenfalls Post von verschiedenen Kassen, in denen die Mediziner auf ihre Dokumentationspflicht hingewiesen wurden. Geld für entsprechende Diagnosen, wie etwa in Niedersachsen, wurde den niedergelassenen Ärzten hier aber offensichtlich nicht geboten. Ihm seien solche Offerten nicht bekannt, sagt der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz, Günter Gerhardt. Trotzdem hat das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung nach TV-Informationen die Ärzte in Rheinland-Pfalz angeschrieben und davor gewarnt, Diagnosen im Sinne der Kassen zu verschlechtern. "Wenn ein Arzt bewusst falsch codiert, ist das rechtswidrig", sagt Tanja Börner, Sprecherin des rheinland-pfälzischen Ersatzkassenverbandes. Die Folgen für die Patienten wären fatal: "Hier könnte jemand zum chronisch Kranken gemacht werden, ohne es tatsächlich zu sein", sagt die Verbandssprecherin.

Der AOK-Bundesverband, in dem alle 15 deutschen Ortskrankenkassen zusammengeschlossen sind, weist am Beispiel der Dialyse daraufhin, wie sich eine aus Sicht der Kassen nachlässige Diagnose finanziell auswirken könnte. Stellt der Arzt bei einem Patienten etwa eine "Langzeitige Abhängigkeit von Dialyse bei Niereninsuffizienz" fest und stellt weitere damit zusammenhängende Diagnose, bekommt eine Kasse für diesen Versicherten bis zu 49 000 Euro im Jahr. Schreibt der Arzt jedoch in seiner Diagnose "Terminale Niereninsuffizienz", bekommt die Kasse lediglich rund 2200 Euro für den Versicherten. Die 15 AOK rufen in einer Deklaration zur "Verbesserung der Diagnose-Dokumentation" die Ärzte zur richtigen Codierung der Diagnosen auf. Nicht die Versorgung der Versicherten, sondern die Dokumentation von Krankheit rücke durch die Fehlanreize immer stärker in den Fokus, kritisiert Anneliese Bodemar, Chefin der Techniker Krankenkasse in Rheinland-Pfalz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort