Kritik Trierer Statistik-Professor: Politik hat Wissen von Experten während Corona-Krise nicht genutzt

Trier · Der Trierer Statistik-Professor Ralf Münnich bemängelt, dass in der Corona-Krise teils falsche Schlüsse gezogen wurden. Warum? Vorhandenes Wissen wurde nicht bei den Experten abgerufen.

 Der Trierer Professor Ralf Münnich ist neuer Präsident der Deutschen Statistischen Gesellschaft. Sein Forschungsschwerpunkt sind Zensen, mit denen man Rückschlüsse auf die Entwicklung der Gesellschaft ziehen kann.

Der Trierer Professor Ralf Münnich ist neuer Präsident der Deutschen Statistischen Gesellschaft. Sein Forschungsschwerpunkt sind Zensen, mit denen man Rückschlüsse auf die Entwicklung der Gesellschaft ziehen kann.

Foto: Universität Trier

Covid-19 hat Politik, Gesellschaft und Wirtschaft seit März fest im Griff. Und immer wieder ist die Politik gefordert, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse weitreichende Entscheidungen zu treffen. Ob Lockdown oder Infektionszahlen, Teilnehmergrenzen bei Veranstaltungen oder Hochrechnung der Ansteckungsgefahr: Für all diese Fragen werden Daten für Entscheidungen zugrunde gelegt.

Doch ohne die Erfahrungen und Erkenntnisse der Statistiker bislang ausreichend miteinzubeziehen, bedauert Professor Ralf Münnich von der Universität Trier. „Vor allem zu Anfang der Corona-Krise wurde weder von der Politik noch von den Medien das große Wissen der Experten der Deutschen Statistischen Gesellschaft in Anspruch genommen“, sagt der frisch gewählte Präsident der Gesellschaft (siehe Info). „Die Chancen zur Versachlichung der Informationen mit Hilfe moderner statistischer Verfahren, sowohl bei zusätzlichen Stichproben als auch insbesondere bei Analysemethoden, hat man dadurch nicht genutzt“, kritisiert Münnich als neuer „Mister Statistik“. Stattdessen gab es Verunsicherung, Aktionismus und Entscheidungen aufgrund unzureichender oder falscher Daten.

Dabei kann gerade Münnich durch seine bisherige und aktuelle Forschung einiges für die Entscheidungsfindung in der Politik beitragen. Er ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Trier und forscht insbesondere zu neuen Erhebungsverfahren, kleinräumigen Statistiken und Mikrosimulationen. Er zeichnet sich auch als Experte zu Zensen aus und war als Gutachter beim Bundesverfassungsgericht tätig.

„Deutschland war nicht auf die Corona-Krise vorbereitet. Aber es ist schade, dass man damals nicht das statistische Material genutzt hat, das bereits vorhanden war“, bemängelt der Forscher. Es habe „Selektionsfehler“ gegeben, weil sich krank fühlende Menschen mit infizierten Patienten gleichgesetzt oder auch die Zahl der Corona-Tests nicht mit in die Auswertung der Infektionszahlen geflossen seien. Auch sei es fatal, wenn aufgrund des erhobenen Datenmaterials in kleineren Corona-Hotspots wie etwa im nordrhein-westfälischen Heinsberg nach einer Karnevalsveranstaltung Hochrechnungen für das gesamte Bundesgebiet angestellt würden. Da müsse es einen größeren Querschnitt geben, um Aussagen treffen zu können. „Einzelne Erkenntnisse daraus sind für Virologen vielleicht wichtig. Mit weiteren Fragen und der Auswertung der Antworten hätte man jedoch Verzerrungen verhindern können“, ist Ralf Münnich überzeugt: „Aber es war kein Statistiker an diesen Erhebungen beteiligt gewesen.“ Stattdessen habe es viele Monate lang immer neue Informationen über die Verbreitungswege von Covid 19 gegeben.

Dabei habe Münnich gemeinsam mit seinen Kollegen vielfach das wissenschaftliche Knowhow etwa bei Stichprobenerhebungen angeboten: „Doch wir wurden nicht gehört.“ Schließlich gehört der Trierer Professor zu den Experten auf diesem Gebiet, baut er doch gemeinsam mit dem Statistischen Bundesamt und der Universität Duisburg am Standort Trier ein neues Datenzentrum auf, um „ein Abbild von Deutschland zu schaffen“, wie er sagt. Dabei arbeiten die Studierenden und Wissenschaftler mit Schnittstellen, vernetzen Datenquellen wie freie Geodaten anderer Messungen und können – unter massiven Datenschutzbestimmungen – Modelle entwickeln, wie sich Deutschland entwickelt. Ralf Münnich spricht dabei von Bevölkerungsprognosen, Wohnraumermittlungen, Kommunalsteuerentwicklungen und die regionale Armutsgefahr bis in einzelne Stadtteile hinein. „Wir können mit unseren Erkenntnissen gesellschaftliche Fragen beantworten, Simulationen errechnen und der Politik Entscheidungshilfen liefern“, sagt der Statistiker. In zwei bis drei Jahren könnte das Trierer Datenlabor damit zum wichtigen Bindeglied von Wissenschaft und Politik werden. „Unsere Arbeit muss nutzbar sein für Entscheidungen in Staat und Gesellschaft, ohne dabei große Mathematik zu machen“, sagt Münnich und will dazu künftig noch stärker Flagge für sein Metier zeigen. Er ist überzeugt: „So können wir Statistiker der Deutschen Statistischen Gesellschaft mit unserer Expertise auch zur besseren Bewältigung künftiger Krisen beitragen.“

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