"Mehr als ein halbvolles Glas"

Berlin · Der Mindestlohn steigt ab Januar 2017 von 8,50 auf 8,84 Euro pro Stunde. Das ist ein Plus von vier Prozent. Es handelt sich um die erste Anpassung seit Einführung der Lohnuntergrenze Anfang 2015.

Berlin. Die Mindestlohn-Kommission hat dichtgehalten. Selbst zu Beginn der am Mittwochnachmittag anberaumten Pressekonferenz wurde die von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern festgelegte Anpassung noch wie ein Staatsgeheimnis behandelt.
Ihre Mitarbeiter verteilten die schriftlichen Erklärungen erst, als der Kommissionvorsitzende Jan Zilius das Ergebnis verkündet hatte: Um 34 Cent auf 8,84 wird der Mindestlohn im kommenden Jahr angehoben. Das entspricht den realistischen Erwartungen. Zuletzt war über ein Plus zwischen 8,77 Euro und 8,87 Euro spekuliert worden.
Der Beschluss sei einstimmig gefallen, versicherte Zilius, der lange Zeit bei der IG Bergbau und Energie und später im Vorstand des Energiekonzerns RWE tätig war.
Ein Mindestlohnempfänger mit einer üblichen, durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden verdient damit im Monat etwa 55 Euro brutto mehr, wie DGB-Vorstands- und Kommissionsmitglied Stefan Körzell vorrechnete. Damit sei "das Glas etwas voller als halbleer", so Körzell. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), Reinhard Göhner, sagte, wenn die Konjunktur so weiterlaufe, seien keine negativen Auswirkungen zu befürchten.
Hinter den Kulissen hatten beide Seiten über die Anpassung gestritten.
Die Gewerkschaftsseite drängte darauf, auch die bereits im Frühjahr erfolgten Tarifabschlüsse für den öffentlichen Dienst sowie in der Metall- und Elektroindustrie in den Tarifindex einfließen zu lassen. Dadurch hätte der Mindestlohn um 4,4 Prozent oder 37 Euro steigen müssen. Das Problem war nur, dass beide Tarifabschlüsse erst nach dem 30. Juni zahlungswirksam werden und deshalb im Tarifindex noch keine Berücksichtigung fanden.
Am Ende einigte man sich auf einen klassischen Kompromiss: Der Abschluss für die Metaller blieb außen vor. Bei den öffentlich Bediensteten dagegen kommt das Lohnplus zum Tragen, weil es schon ab März verabredet war, wegen technischer Verzögerungen aber erst in den kommenden Wochen rückwirkend ausgezahlt wird. Unter dem Strich liegt der künftige Mindestlohn deshalb bei 8,84 Euro.
Allerdings setzte die Arbeitgeberseite durch, dass der Abschluss für die öffentlich Bediensteten bei der nächsten Anpassungsentscheidung im Frühsommer 2018 nicht mitzählt.
Auf diese Weise werde verhindert, dass der Abschluss im öffentlichen Sektor "doppelt" in die Anpassung einfließt, wie es im Beschluss der Mindestlohn-Kommission heißt.

Extra

Die Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU) haben die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ab 2017 als akzeptabel bezeichnet. LVU-Hauptgeschäftsführer Werner Simon hatte Politik und Gewerkschaften vor einem Überbietungswettlauf gewarnt. dpa

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