"Ohne Arbeit würde mir was fehlen"

Bernkastel-Kues · Eine Behinderung kann jeden treffen: Mehr als 80 Prozent aller Handicaps entstehen durch Krankheit, die wenigsten durch Unfälle. Zur Woche der Menschen mit Behinderung bei der Arbeitsagentur zeigt ein Beispiel aus Bernkastel-Kues, wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber auch die Kollegen, gleichermaßen von einem Miteinander profitieren.

 Im richtigen Job im passenden Unternehmen angekommen: Uwe Koch (Mitte) macht trotz seiner starken Sehbehinderung eine Umschulung zum Verkäufer. Sein Arbeitgeber Markus Petereit (links) profitiert von Kochs Einsatz und Motivation, und Berater Alfred Simon freut sich, dank individueller Beratung eine optimale Lösung für beide Seiten gefunden zu haben. TV-Foto: Klaus Kimmling

Im richtigen Job im passenden Unternehmen angekommen: Uwe Koch (Mitte) macht trotz seiner starken Sehbehinderung eine Umschulung zum Verkäufer. Sein Arbeitgeber Markus Petereit (links) profitiert von Kochs Einsatz und Motivation, und Berater Alfred Simon freut sich, dank individueller Beratung eine optimale Lösung für beide Seiten gefunden zu haben. TV-Foto: Klaus Kimmling

Bernkastel-Kues. Rote von blauen Trauben zu unterscheiden, das bereitet ihm nach wie vor Schwierigkeiten. Denn Uwe Koch ist stark lichtempfindlich, kurzsichtig und zusätzlich farbenblind. Ein Handicap, das er seit seiner Geburt hat und für das er lange Zeit keinen richtigen Beruf gefunden hat: Eine Ausbildung zum Bürokaufmann bricht er als Jugendlicher ab, 15 Jahre ist er arbeitslos. Über den Integrationsfachdienst macht er vor gut drei Jahren erst ein Praktikum als Koch, dann als Konditor. Doch ohne Chance. Entweder braucht er zu lange, um sich aufgrund seiner Einschränkungen im Job einzufinden, oder diese machen es von vornherein unmöglich, die Arbeit auszuüben. "Es ist eben schlecht, wenn man als Konditor keine Farben der Zutaten erkennen kann", sagt Koch.
Erst als er zu Markus Petereit ins Unternehmen kommt, im Lebensmitteleinzelhandel seines Edaka-Supermarktes Kunden berät und sein Fachwissen als Hobbykoch einbringen kann, blüht der 41-Jährige auf: Er macht ein von der Arbeitsagentur gefördertes Praktikum, wird mehrfach befristet als Hilfskraft sozialversicherungspflichtig angestellt. "Ich schätze die Art und den Mut von Uwe Koch", lobt ihn sein Chef Markus Petereit. Er habe Respekt davor, wie sein Angestellter mit seiner Behinderung umgehe: "Nämlich so, als sei sie nicht da."
Petereit ist begeistert von seinem Mitarbeiter, so sehr, dass er ihm anbietet, eine dreijährige Umschulung zum Verkäufer zu absolvieren. "Erst mal sehe ich es als soziale Verpflichtung, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Zudem möchte ich, dass er sein Wissen und sein Engagement in einen Beruf und eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für eine spätere Rente einbringen kann", beschreibt der Chef die Motivation. Und so ist Uwe Koch seit September Umschüler zum Verkäufer und "endlich am richtigen Platz angekommen. Ohne die Arbeit würde mir etwas fehlen", sagt er selbst.
Ein Gewinn für beide Seiten


"Wir müssen weiterhin dicke Bretter bei den Unternehmen bohren", sagt Berater Alfred Simon von der Arbeitsagentur. Nach wie vor hinderten Fehlinformationen die Betriebe, mehr Menschen mit Behinderung einzustellen (siehe Extra). Dabei gebe es heutzutage - im Vergleich zu vor zehn Jahren - mehr und vor allem individuellere Vermittlung. Zusätzlich müssten Arbeitgeber über Probe- sowie unterstützte Beschäftigung keinerlei finanzielle Risiken eingehen. Im Fall Uwe Koch zahlt die Agentur etwa für technische Hilfen wie Laptop, Lupe, Vergrößerungssoftware und Scanner sowie die Aufstockung der Ausbildungsvergütung für drei Jahre immerhin rund 37 900 Euro.
Für Markus Petereit und seine 60 Beschäftigten in Supermarkt, angeschlossener Kaffeerösterei und Gastronomie ist Kollege Koch in jeder Hinsicht ein Gewinn. "Wir hatten alle zu Beginn Angst, dass es nicht klappt", sagt der Unternehmer. Aber wo ein Wille, sei auch ein Weg. Die Mitarbeiter helfen sich nun gegenseitig, auch wenn neue Aufgaben wie der Kassenscanner auf Uwe Koch zukommen. "Ich muss mich da reinfinden. Aber das Wichtigste neben der Arbeit ist, dass neue Freundschaften entstanden sind und ich integriert bin", sagt der Umschüler.
Und wenn Uwe Koch mal wieder vor dem Obstregal mit verschiedenfarbigen Trauben steht, kommen die Kollegen und helfen beim Einordnen. Denn er kann - im Gegensatz zu vielen seiner viel jüngeren Mitauszubildenden - den Kunden den Unterschied zwischen Papaya und Mango beibringen.Extra

Im November waren in der Region 807 schwerbehinderte Menschen arbeitslos. Das sind 7,8 Prozent aller Arbeitslosen. Laut den Statistiken haben Schwerbehinderte generell kein erhöhtes Risiko, arbeitslos zu werden. Sind sie es einmal, bleiben sie jedoch deutlich länger ohne Job. Darüber hinaus sind arbeitslose Schwerbehinderte deutlich älter als alle anderen Arbeitslosen. Der Grund: Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, chronisch krank zu werden oder nur noch eingeschränkt arbeiten zu können. Die Trierer Agentur fördert behinderte Menschen jährlich mit rund 19 Millionen Euro, etwa für Förderprogramme oder für Hilfsmittel wie behindertengerechte Fahrzeuge und Arbeitsplätze. Laut Gesetz müssen Arbeitgeber mit mehr als 20 Beschäftigten mindestens fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten besetzen. In der Region sind dies in 780 Betrieben 3166 Menschen. Die Beschäftigungsquote liegt damit bei vier Prozent; im Land sind es 4,1, im Bund 4,6 Prozent. Die meisten Jobs sind in der Dienstleistungsbranche zu finden. sasExtra

Die Arbeitsagentur Trier hat zusammen mit den Jobcentern der Region als erste Agentur in Rheinland-Pfalz den Zuschlag für die Inklusionsinitiative erhalten. Dabei handelt es sich um ein 50 Millionen Euro starkes Bundesprojekt, aus dem nun 1,5 Millionen Euro in die Region fließen werden. Die Dauer beträgt drei Jahre. Ziel ist es, Schwerbehinderte individuell zu coachen und diese in den allgemeinen Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu integrieren. Insgesamt 150 Teilnehmer aus der Region sollen dabei bis zu einem Jahr von dem Modellprojekt profitieren und gefördert werden. sas

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