Prognose für den Euro-Raum: Das dicke Ende kommt noch

Trier · Der Streit um das Krisenmanagement in der Finanz- und Wirtschaftskrise hat die USA und Europa an diesem Wochenende gegeneinander aufgebracht. Dabei gewinnt ein Vorschlag immer mehr an Zustimmung, den auch Fachleute bei einer Tagung an der Katholischen Akademie in Trier diskutiert haben: die Besteuerung von Börsengeschäften.

Trier. Ob Rettungsschirme für Griechenland, Euro-Rettungskurs oder Schäden durch Finanzjongleure: Für den Otto-Normal-Bürger scheint die Finanz- und Wirtschaftskrise weit weg zu sein - und ihn erst mal wenig bis gar nicht persönlich zu beeinträchtigen. Doch die Rechnung, die Stephan Hessler, Politologe und Volkswirt mit einer Lehrstuhlvertretung an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, in diesen Tagen an der Katholischen Akademie in Trier aufmacht, kann auch die größten Finanzlaien nicht kaltlassen.
"Bislang kostet die Finanzkrise jeden deutschen Haushalt 200 000 Euro", sagt er bei einer Tagung zur Finanz- und Wirtschaftkrise, ihren Hintergründen, Folgen und Konsequenzen. Rechne man - plakativ zusammengestellt - alle direkten und indirekten Kosten etwa durch Rettungsschirme, Konjunkturpakete, Marktunsicherheit, Einkommenseinbußen, Preissteigerungen, Steuerausfälle, Zins und Tilgung zusammen, so ergebe sich diese Summe, sagt Hessler. Er ist auch wissenschaftlicher Beirat des globalisierungskritischen Netzwerks "Attac" und stellvertretender Vorstand von "Business Crime Control", einem Verein, der sich gegen Wirtschaftskriminalität einsetzt.
"Der Großteil der Kosten bleibt an uns hängen, als Hypothek in die Zukunft", sagt Hessler. Denn derzeit könnten die Banken bis zu zwei Prozent mehr Zinsen an ihre Kunden auszahlen, wenn sie denn nicht durch die krisenbedingten Nebenkosten gegängelt wären. Von 2015 an kommen laut Hessler sogar noch erheblich mehr Kosten auf jeden einzelnen Bundesbürger zu. "Es wird eine Durststrecke kommen, die schmerzhaft sein wird: ein Wirtschaftsabschwung bei gleichzeitig restriktiver Haushaltspolitik", sagt der Volkswirt. Dies könne sich etwa in höheren Hypothekenzinsen und geringeren Renten auswirken.
Und da stellt Deutschland keine Ausnahme dar, haben sich doch fast alle Staaten im Rahmen der US-Immobilienkrise hoch verschuldet, um ihre eigenen Banken zu retten. Beispiele hierzulande sind die Hypo Real Estate und die HSH Nordbank.
Statt sich nun weiter zu verschulden, um den betroffenen Instituten und (fast) bankrotten Staaten finanziell unter die Arme zu greifen, wie es der US-Finanzminister Timothy Geithner den europäischen Kollegen nun vorgeschlagen hat, spricht sich Hessler für eine stärkere Regulierung der Finanzprodukte aus. "In der Realwirtschaft haftet der Produzent für das, was er verkauft, bei Finanzprodukten nicht", moniert der Wissenschaftler, der in den 1980er Jahren selbst als Börsenbroker gearbeitet hat. Und so zeigt der Professor auch, dass eine deutsche Bankenabgabe allein nicht reicht. "Dazu müssten die Institute 62,4 Jahre einzahlen, ehe die gegenwärtigen Krisenkosten beglichen wären", sagt er. Auf internationaler Ebene müsse man zugeben: "Außer Spesen nichts gewesen." Hessler setzt daher an einer anderen Stelle an - an einer Besteuerung von Börsengeschäften, der sogenannten Finanztransaktionssteuer (siehe Extra): "Offensichtlich ist Geld da, nur an der falschen Stelle. Also sollten Steueranreize oder Gewinnmöglichkeiten bereits im Vorfeld Börsenblasen verhindern können." Eine Strategie, die nun auch immer mehr europäische Staatschefs in Erwägung ziehen. Allen voran Deutschland und Frankreich, aber auch Österreich und Luxemburg. Auf Widerstand wie etwa aus Großbritannien gegen diese Steuer wegen eventueller Nachteile für einzelne Finanzplätze oder der Sorge, die Steuer könnte nicht ausreichend durchgesetzt werden, entgegnet Hessler: "Eine Steuer von 0,1 Prozent auf Börsengeschäfte bringt zwischen zehn und 20 Milliarden Euro in die Kassen Deutschlands. Man lässt sich diese Steuer doch nicht entgehen, nur weil jemand diese umgehen könnte. Und: Diese Summe würde dem Steuerzahler zumindest erlassen." Das Vorbild der Finanztransaktionssteuer ist die sogenannte Tobin-Steuer. Die Idee aus dem Jahr 1972 geht auf den US-Ökonomen James Tobin zurück. Er schlug damals eine Abgabe von einem Prozent auf alle Geschäfte an den Finanzmärkten vor; also auf solche in Devisen, Aktien, festverzinslichen Wertpapieren, Rohstoffen und Derivaten. Im Gespräch sind derzeit zwischen 0,01 und 0,05 Prozent auf alle Börsengeschäfte. Vor allem von Globalisierungsgegnern wird eine Spekulationssteuer schon seit Jahren gefordert. Die Idee führte auch zur Gründung des Netzwerks "Attac". sas

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