"Reichen-Abgabe ist populistisch"

Hamburg · Das Bundesverfassungsgericht will sich mehrere Monate für eine vorläufige Entscheidung zum neuen Rettungsschirm ESM Zeit lassen. Was das für den Euro-Raum bedeutet und welchen Sinn eine Extra-Abgabe von Reichen machen würde, erklärt Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), im TV-Interview.

Hamburg. Mit dem Wirtschaftsexperten Thomas Straubhaar sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter. Herr Straubhaar, wie bewerten Sie den höchstrichterlichen Schwebzustand?Straubhaar: Das Positive daran ist, dass Deutschland den rechtsstaatlichen Prinzipien auch in der Krise einen höheren Rang als der Ökonomie einräumt. Die Märkte dürften darüber weniger glücklich sein. Ich halte es aber für abwegig, damit zu drohen, dass sich die Krise für den Euro deshalb verschärft. Ein längeres juristisches Verfahren kann das Vertrauen sogar stärken, weil damit den Märkten demonstriert wird, dass Deutschland auch in ökonomischen Krisenzeiten ein institutionell stabiler Rechtsstaat bleibt.Aber die Ungewissheit bleibt ebenfalls.Straubhaar: Keine Sorge. Das Verfahren schwächt den Euro nicht. Vielmehr bekommen die Märkte dadurch ein Signal, dass der Euro-Raum für einen demokratischen Rechtsstaat kein Spielball ist, mit dem sie nach Belieben umgehen können.Was passiert, wenn Karlsruhe den ESM doch für verfassungswidrig erklärt?Straubhaar: Dann wird man eine neue Rettungslösung finden müssen, die den rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Derzeit haben wir ja noch den EFSF. Ursprünglich sollte der ESM ohnehin erst im kommenden Jahr starten. Die schlechteste aller Varianten wäre, die Politik dem Diktat der Märkte preiszugeben.Was käme aus Ihrer Sicht teurer: eine Vergemeinschaftung von Schulden und Haftung oder das Auseinanderbrechen des Euro-Raums?Straubhaar: Es ist aus meiner Sicht sinnvoller, die Vergemeinschaftung im Rahmen einer Bankenunion voranzutreiben, weil dadurch Zeit gewonnen wird, die Schuldner zum Abbau der Defizite nutzen können und die Gläubigern die Möglichkeit gibt, sich auf unvermeidliche Abschreibungen vorzubereiten. Riskiert man dagegen den Bruch des Euro-Raums, dann entstehen schock-artig sehr hohe Kosten, die die reale Wirtschaft nicht schultern kann.Zur Bekämpfung der Euro-Schuldenkrise schlägt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Zwangsabgabe für Reiche vor, die der Staat in besseren Zeiten auch wieder zurückzahlen könnte. Eine gute Idee?Straubhaar: Das klingt sicher populär, um nicht zu sagen populistisch. Deshalb muss es aber noch nicht richtig sein. Der Vorschlag kommt zum falschen Zeitpunkt. An erster Stelle steht doch die Frage, welche Kosten überhaupt entstehen. Erst danach kann man sich über die Finanzierung unterhalten. Bislang sind die Kosten nicht dramatisch. Jetzt schon eine Extra-Steuer oder Abgabe einzuführen, ist unsinnig.Deutschland steht mit über 300 Milliarden bei der Euro-Rettung im Risiko. Ist das nicht dramatisch genug?Straubhaar: Deutschland hat gegenwärtig kein Liquiditätsproblem und verglichen mit anderen Ländern eher einen gesunden Staatshaushalt. Immerhin peilen wir die Null-Neuverschuldungs-Marke an. Kurzum, die makroökonomische Situation in Deutschland ist so, dass derzeit keinerlei Notwendigkeit für Sondersteuern oder Zwangsabgaben besteht.Das DIW will die Idee aber auch für Krisenländer verstanden wissen.Straubhaar: Darüber kann man sicher reden. Nur braucht man dazu überhaupt erst einmal funktionierende Verwaltungsstrukturen. Griechenland ist nicht einmal in der Lage, die Mehrwertsteuer und die ganz normale Einkommensteuer ordentlich einzuziehen. Was soll da eine Reichensteuer auf dem Papier? Auch dies hieße, den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen.Extra

Gut betuchte Bürger könnten laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit Zwangsanleihen und Vermögensabgaben die hohen Staatsschulden finanzieren. Hintergrund des Vorschlags: In den Euro-Krisenländern Griechenland, Italien und Spanien wie auch in Deutschland horteten die Bürger viel mehr Vermögen, als ihr Staat Schulden hat. Steuerpflichtig wären dem DIW-Rechenbeispiel zufolge die reichsten acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland mit mehr als 250 000 Euro Privatvermögen, bei Ehepaaren 500 000 Euro. "Wenn die Bürger zehn Prozent des übersteigenden Wertes abliefern, könnte das ein Aufkommen von neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts erbringen, also rund 230 Milliarden Euro", sagt Stefan Bach vom DIW. dpa

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